Sind für den künstler alle materialien auch gleich wertvoll, so sind sie doch nicht für alle seine zwecke gleich tauglich. Die erforderliche festigkeit, die notwendige konstruktion verlangen oft materialien, die mit dem eigentlichen zwecke des gebäudes nicht im einklang stehen. Der architekt hat etwa die aufgabe, einen warmen, wohnlichen raum herzustellen. Warm und wohnlich sind teppiche. Er beschließt daher, einen teppich auf den fußboden auszubreiten und vier aufzuhängen, welche die vier wände bilden sollen. Aber aus teppichen kann man kein haus bauen. Sowohl der fußteppich wie der wandteppich erfordern ein konstruktives gerüst, das sie in der richtigen lage erhält. Dieses gerüst zu erfinden, ist die zweite aufgabe des architekten.
Das ist der richtige, logische weg, der in der baukunst eingeschlagen werden soll. So, in dieser reihenfolge, hat die menschheit auch bauen gelernt. Im anfange war die bekleidung. Der mensch suchte schutz vor den unbilden des wetters, schutz und wärme während des schlafes. Er suchte sich zu bedecken. Die decke ist das älteste architekturdetail. Ursprünglich bestand sie aus fellen oder erzeugnissen der textilkunst. Diese bedeutung des wortes kennt man noch heute in den germanischen sprachen. Die decke mußte irgendwo angebracht werden, sollte sie genügend schutz für eine familie bieten! Daher kamen die wände dazu, die zugleich seitlichen schutz boten. Und so entwickelte sich der bauliche gedanke sowohl in der menschheit als auch im individuum.
Es gibt architekten, die das anders machen. Ihre
Adolf Loos: Adolf Loos – Sämtliche Schriften. Herold, Wien, München 1962, Seite 105. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Loos_S%C3%A4mtliche_Schriften.pdf/104&oldid=- (Version vom 1.8.2018)