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er so zwanzig, sie so achtzehn Jahre alt. Wie sie die beiden Herren auf der Bank sehen, lassen sie ihre Hände los. Bis dahin hatten sie sie verschränkt. Sie hält den Kopf gesenkt und hat rote Backen. Er hält die Nase hoch und flötet halblaut. Dann sagt er: „Ja, gewiß, Schlittschuhlaufen ist ein Vergnügen, aber es ist auf die Dauer fußkalt.“ Sie nickt, als wollte sie sagen: „Ja, und dann die vielen Menschen.“

Der alte Herr sieht empört gegen den Himmel. Auf dem Hornzacken der alten Eiche sitzt ein Starmatz, hält den Schnabel in die Luft wie ein neugebackener Ersatzleutnant, bläst die Kehle auf wie ein Puthahn, klappt mit den Flügeln wie ein Schneeschüpper, pfeift wie eine hysterische Maus, quietscht wie eine gereizte Schiebkarre und jodelt wie ein verstimmter Salontiroler. Dann fliegt er dahin, wo mehrere seinesgleichen sich auf dieselbe Art vergnügen. Sofort nimmt seinen Platz ein die Reichsfarben tragender Specht ein, der in Ermangelung von etwas Besserem den alten Ast als Trommel benutzt, und zwar mit dem Erfolge, daß der alte Mann es für angebracht hält, sich von dannen zu begeben. Der junge Herr folgt ihm.

„Hören Sie?“ sagt er, und zeigt auf ein zollgroßes, braunes Etwas, das auf einer Brombeerranke sitzt und einen Lärm vollführt, der in gar keinem Verhältnisse zu seinem Umfange steht, „der Zaunkönig singt auch schon.“ Der alte Herr lächelt verächtlich: „Auch schon, ist gut. Das ist der einzige Vogel, der vernünftig ist. Der singt das ganze Jahr. Der singt bei zehn Grad unter Null. Der braucht dazu nicht erst für fünfzig Pfennige Sonnenschein und ein paar lumpige Mücken. Und er braucht dazu nicht erst jenes unbestimmte, unklare, nur zu allerhand Dummheiten führende Gefühl um die Leber, das Sie Liebe nennen, das aber im Grunde nichts als Mangel an gesunder Bewegung ist.“

Der junge Mann lächelt, halb bescheiden, halb überlegen, und sieht dem Zaunkönig nach, der mit einem Moosfäserchen

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Hermann Löns: Der zweckmäßige Meyer. Sponholtz, Hannover 1911, Seite 38. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Loens_Der_zweckmaessige_Meyer.pdf/44&oldid=- (Version vom 1.8.2018)