Seite:Loens Der zweckmaessige Meyer.pdf/18

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Es ist ein wahrer Segen, daß der Weltenschöpfer die Beschaffung von Tieren nicht in die Hand des Menschen gelegt hat, denn es wäre ein schöner Blödsinn dabei herausgekommen, weil der Mensch dann lauter Vögel erfunden hätte, die so pfeifen, wie ihm selber der Schnabel gewachsen ist, und das wäre nicht zum Aushalten, sondern zum Auswachsen gewesen. Glauben Sie, daß er auf den Gedanken gekommen wäre, dem Specht das Trommeln beizubringen? Ich nicht! Wahrscheinlich hätte er ihn gezwungen, wie ein Schusterjunge oder ein Scherenschleifer zu flöten, und nun denken Sie sich bloß einmal einen flötenden Specht! Ebensogut können Sie sich ein nach Veilchen duftendes Automobil oder einen Vanilleeis essenden Eskimo einbilden. Oder stellen Sie sich bitte einmal vor, wie es sich machen würde, schlüge der Storch wie eine Nachtigall oder zwitscherte die Gans wie ein Stieglitz! Und denken Sie sich, wie langweilig und stumpfsinnig die Natur wäre, wären alle Vogellieder nach den Gesetzen des Kontrapunktes komponiert und jeder Piepmatz, vom Adler bis zum Zaunkönig, würde richtige Melodien verzapfen oder womöglich moderne Programmusik, bei der man sich etwas Bestimmtes denken kann, wenn man will, oder muß, wenn man nicht will! Zum Verrücktwerden wäre das.

Im zoologischen Garten zu Hannover ist ein australischer Flötenvogel, der pfeift von früh bis spät das Lied: „Lott ist tot.“ Sein früherer Wärter hat es ihm beigebracht, und der Mann war sehr stolz darauf. Aber nach einem Vierteljahre hatte er genug davon. Wo er ging und stand, hörte er nichts und weiter nichts als: „Lott ist tot, Lott ist tot, Jule liegt im Sterben; das ist gut, das ist gut, gibt es was zu erben.“ Alles, was er tat, ob er die Vögel fütterte oder sich selber, ob er sich die Nase oder die Fensterscheiben putzte, bewerkstelligte er nach dem Takte von „Lott ist tot“; sogar einen Lottisttotgang hatte er sich angewöhnt. Schließlich hielt er es nicht mehr aus und ließ sich zu den Löwen versetzen, um einmal etwas anderes

Empfohlene Zitierweise:
Hermann Löns: Der zweckmäßige Meyer. Sponholtz, Hannover 1911, Seite 12. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Loens_Der_zweckmaessige_Meyer.pdf/18&oldid=- (Version vom 1.8.2018)