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dich an!“ des Blondins. Sie gab ihm ihr Herz. Er nahm es an mit der eleganten Nonschalance des alten Roués.

Der blonde Seeigel mit der treuen Seele war zu betrübt, um länger am Daseinsbewußtsein Genuß zu finden. Er krabbelte aus der Salzflut, kroch bis zu einem Süßwasserbach, der sich in das Meer ergoß, verfluchte das weibliche Geschlecht im allgemeinen und seine treulose Liebste im besonderen und mordete sich dann nach Seeigelart durch Ersäufen in Süßwasser. Er verlor seine einfachen Biedermannsstacheln und der Schlamm bedeckte und begrub ihn.

Sechs Wochen verlebte die Brünette mit ihrem Elegant unter Küssen und Kosen. Dann wurde ihm die Sache fade. Er fand sie zu korpulent, er bemerkte, daß ihr drei Stacheln fehlten, er langweilte sich bei ihren Liebkosungen. Als sie von einer standesamtlichen Befestigung ihres Verhältnisses sprach, schützte er eine dreitätige Geschäftsreise vor, nahm kühl Abschied und kam nicht wieder.

Die Seeigelin raufte sich die Stacheln, als er nicht wiederkam und kokettierte weiter. Aber sie hatte kein Glück damit. Die Geschichte mit dem Selbstmord ihres treuen Anbeters hatte sich herumgesprochen. So lebte sie denn mürrisch in ihrer muffigen Felsenecke in Freundschaft mit einem alten Knurrhahn, der auch den Anschluß verpaßt hatte, und hoffte immer noch, daß der Treulose wiederkommen würde.

Der aber kam nicht. Er machte eine gute Partie, wurde aber, da er etwas eilig gelebt hatte, sehr früh neuralgisch und verlor alle Stacheln. Sein größter Kummer war, daß die Jugend so sittenlos war, und das Alter nicht achtete. Der Ärger darüber verschaffte ihm ein Gallenleiden, das ihn langsam, aber schmerzlich tötete.

Bald darauf starb auch seine verlassene Geliebte an einem Herzschlag; sie konnte den Verlust ihres letzten Stachels nicht überleben, eitel, wie sie noch auf ihre alten Tage war.

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Hermann Löns: Der zweckmäßige Meyer. Sponholtz, Hannover 1911, Seite 103. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Loens_Der_zweckmaessige_Meyer.pdf/109&oldid=- (Version vom 1.8.2018)