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Sie war im tiefsten Kummer versunken, als auf einmal ein schöner Edelknabe vor ihr knieete, von dem sie nicht wußte, woher er gekommen sei, aber sie meinte, er gehöre zum Hofstaat der Herzogin.

„Prinzeßin, sagte der Jüngling, Ihr werdet erwartet!“

Da fragte sie ihn – denn es war ihr, als müßte sie ihn fragen – wie lang er im Dienste des Königs oder der Herzogin sei? – „Dem Könige diene ich nicht und der Grunzau auch nicht, aber in Eurem Dienste stehe ich, gern und freiwillig.“

Das kam der Prinzeßin gar wundersam vor und wußte es nicht zu deuten und sagte: „Wie soll ich denn das verstehen?“

„O Viola! sagte der Jüngling kühn; du jammerst mich! Ich bin kein Edelknabe, ich bin der Prinz Holdherz, der ja nicht sogar unbekannt ist, und bin schon in mancherlei Gestalt und selbst unsichtbar bei dir gewesen, du Holdseelige. Ich habe die Gabe, zu scheinen, was ich will, oder gar nicht zu erscheinen von meiner Mutter. Stände dir nicht schwere Prüfung bevor, so wäre ich noch im Verborgenen geblieben. – Viola, ich liebe dich deiner Sanftmuth und Tugend wegen, und werde von heut an immer, sichtbar oder unsichtbar, bei dir sein.“

Viola wußte nicht, was sie antworten sollte. Sie ließ sich von dem Jüngling zu einem milchweißen Pferde führen, das er im Schloßhof für sie bereit gehalten hatte. Sie stieg aufs Pferd, und Holdherz führte es am Zügel.

Sie ritt der Grunzau entgegen und das Volk bewunderte sie und den schönen Edelknaben und das prächtig gebaute und geschmückte Pferd, deßen Zaum und Decke von Juweelen blitzten.

Die Herzogin kam auf ihrem Pferde, das aber neben dem Pferde der Prinzeßin wie ein schäbiger Fuhrmannsgaul aussahe.