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Die Vornehme ließ sich an der Quelle des Brunnens nieder, wo liebliche und lustige Bäume standen. Ein Armstuhl wurde ihr hingesetzt, mit weichen Kißen belegt und überzogen mit Goldbrokat; ein Schenktisch wurde ihr hingestellt mit goldenen und krystallhellen Gefäßen und auf einem andern Tische, unfern davon, ward eine köstliche Mahlzeit aufgetragen, und eine Musik von Hörnern und Saitenspiel begann sanft und süß.

Das war aber Alles in einem einzigen Augenblicke da, so als ob es schon längst dagewesen wäre.

Das Glückskind hatte sich während das Alles vorging, blöde und schüchtern und gleichsam wie vor Angst, hinter einen Fliederstrauch versteckt, indem es dachte, es gehöre nicht zu den vornehmen und glänzenden Leuten. Da ging es ihm wie vielen erwachsenen Leuten, welche sich auch vor den Vornehmen und Glänzenden gern verbergen, oder wenn sie hervor müßen, vor ihnen kriechen, als wären sie Würmer und keine Menschen, jene aber wären es, und müßten Alles allein gelten. So etwa mocht es dem armen Kinde sein.

Glückskind hatte sich versteckt, aber die vornehme Frau, welche eine Königin war, und daher wie die Königinnen meistentheils, ein recht[1] scharfes Auge für kleine Dinge hatte, – die Königin sahe sie doch, und ließ sie durch einen ihrer vornehmen Diener heran rufen.

Dehmüthig und sanft und sittig schämig stand das schüchterne Mägdlein mit gesenkten Augen vor der Königin, der es gar aus dermaßen gefiel.

„Was machst Du denn hier, Du liebes holdes Kind? fragte die Königin gütig, weil sie selbst recht sehr gut war; fürchtest Du Dich denn nicht, so allein am Abend?“


  1. Verbeßerungen S. 471: st. rechtes großes l. recht