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II
Die osteuropäische Krisis und deren Lösung

Der Appetit kommt beim Essen. Nachdem Rußland unter der Regierung Katharinas II. endgültig in den Besitz ukrainischer Gebiete am Schwarzen Meer gelangt war, dachte es sofort an die weiteren Eroberungen am Balkan. Der orthodoxe Glaube sollte dabei als Vorwand dienen. So entstand der angebliche Traum Peters des Großen, auf den Moscheen Konstantinopels das dreiarmige Kreuz zu errichten – jener Traum, der die größten Staatsmänner des Zarenreiches bis heute nicht ruhig schlafen läßt. Freilich hat sich der Traum bisher nicht verwirklicht. Der zweimalige Versuch Nikolaus’ I. scheiterte an dem Widerstande Frankreichs und Englands, und in der Verständigung der Großmächte vom 5. Dezember 1853, laut welcher im Interesse der Erhaltung des europäischen Gleichgewichtes an dem Bestande der Türkei festgehalten werden sollte, wurde dem russischen Vordringen nach Konstantinopel ein Riegel vorgeschoben. England hatte damals noch keinen Konkurrenzkampf mit Deutschland im türkischen Orient und wollte daher nicht zulassen, daß ihm die Bewegungsfreiheit in Asien durch die Besetzung der Meerengen und Konstantinopels durch die Russen genommen oder nur beschränkt werde. Denselben Standpunkt nahmen aber damals, mit Rücksicht auf ihre Interessen im Mittelländischen Meere, auch die Franzosen ein. Der für Rußland unglückliche Krimkrieg hatte die Verwirklichung der Träume Rußlands nur noch in weitere Ferne gerückt. Der Berliner Vertrag und die Okkupation von

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Eugen Lewicky: Die Ukraine der Lebensnerv Rußlands (= Ernst Jäckh (Hg.): Der Deutsche Krieg, 33). Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart u. Berlin 1915, Seite 14. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Lewicky_Die_Ukraine_1915.pdf/13&oldid=- (Version vom 24.2.2022)