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trat von Zeit zu Zeit hinaus an das Sterbelager, schickte einen Seufzer empor und setzte sich dann wieder abseits, der Stunde harrend, wo der HErr die Erlösung aus Zion senden würde. „Ein Spaß, so einem Sterben zuzuschauen“ meinte der treue Bruder. „Unsre Mutter ist drei Tage lang im Sterben gelegen und wurde in den letzten acht Tagen noch dreimal vom Schlage gerührt. Aber wie friedlich liegt mein Bruder da. Die Seele ist schon so gut als daheim beim HErrn, und auch der Leib liegt im Frieden und seliger Empfindungslosigkeit.“ So war es und so blieb es, bis in den Nachmittagsstunden des 2. Januar die letzte Not sich einstellte.

 Man sah, daß die sterbliche Hütte nun bald abgebrochen werden sollte. Noch einmal nahmen wir die Harfen von den Weiden und sangen das Lied des Lammes Gottes, beteten auch noch einmal die Sterbelitanei. Gegen 5 Uhr begann der letzte Kampf und Strauß. Ernster, angespannter, ringender wurde das Gebet der Umstehenden für die selbst im Todeskampfe ringende Seele, sehnlicher das Seufzen nach Erlösung des Geistes vom Leibe dieses Todes. Endlich 51/4 Uhr Abends schlug die Stunde der Erlösung. Einige schwere Todesstöße, ein paar röchelnde Athemzüge, ein Aufschlagen des großen Auges – da war es vollbracht, da gieng die große Seele aus ihrem bereits verfallenen Tempel.

 Nun trat der treue Bruder wieder ans Sterbebett und sprach in seiner schlichten und doch so ergreifenden Weise: „Im Namen der heiligen Dreifaltigkeit, des Vaters, Sohnes und heiligen Geistes drücke ich Dir, geliebter Bruder, Deine Augen zu, bis Du sie über ein Kleines wieder öffnen wirst am großen Tage der Auferstehung, wo sie leuchten werden wie die Sterne immer und ewiglich.“

 Unterdessen versammelten sich die Brüder mit ihren Posaunen im Pfarrhofe, und durch die Stille der Nacht tönten die feierlichen Klänge des Chorals: Wachet auf, ruft uns die Stimme etc., dessen dritter Vers ein Lieblingsvers unseres seligen Hirten war, an dem er so oft sich gehoben und begeistert hatte, wenn er beim Sakramente vor der Consecration unter Orgelklang und Posaunenton von der feiernden Gemeinde angestimmt wurde. Nachdem wir dies hohe Lied unter Thränen des Schmerzes und der Freude gesungen und Gott gelobt hatten über dem Leben und Sterben seines Knechtes, erschallte das Geläute aller Glocken, der Gemeinde zu verkündigen, daß ihr Hirte nicht mehr sei. Es war die Stunde des abendlichen Gottesdienstes im Betsaal – da sammelte sich nun die verwaiste, hirtenlose Heerde. Es wurde der 116. Psalm herausgeweint mehr denn gesungen und das Lied Nr. 556 von dem hellglänzenden Jerusalem, da die Patriarchen wohnen und man lieblich Lobgetöne hört in sanfter Ruh. Weißest du auch, daß der HErr heute deinen Meister von deinen Häupten genommen hat? sagte man sich unter einander. Ich weiß es schon, schweiget nur stille! Ich will euch nicht Waisen