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jetzt spielen wir Winter. Die Öfen sind heiß. Senta, auf ihren dicken Beinen, ist dann zu Papa und Mama ins Dorf gefahren; die Schweden sind wohl Zentauren des Fahrrads. Nun bin ich allein.

Winterdunkel ist es; während sich in Schildhorn die Leute mit dem Kellner herumzanken und mit dem Mann an der Billettsperre – „Hier, der Herr hat meine Fahrkarte gehabt! Ich habe doch … sei mal still … Sie halten überhaupt den Mund!“ – ist es hier blau und winterdunkel. Spät, beinah zehn. Um diese Zeit gehen der Herr immer schlafen.

Gut, daß das keiner sieht: in der einen Hand den elektrischen Kochtopf, der Kamillentees wegen gebraucht wird, in der andern zwei dicke Bücher, zwecks Bildung, unter dem Arm die Zeitungen, im Schlafrock –: so stehn wir wohl vor der weißen Tür. Nur noch über den Flur … und dann ins Schlafzimmer. Mach die Tür nicht auf –! Mach die Tür nicht auf –!

Grotesk. Warum soll ich denn die Tür nicht aufmachen?

Weil … setz mal den Kocher ab. Weil … wenn nun … ich sage nicht, daß es so ist … wenn nun draußen auf dem Treppenflur, hinter der Tür, der Fliegengott stände?

Der wer –?

Der Fliegengott.

Was ist das? Bist du närrisch? Laß mich … ich will jetzt ins Bett, wo ist denn der Kocher?

Ich sage nicht, daß es so ist … Aber er steht da, eine schwarze, drahtige Sache, berührt nicht den Boden, hängt oder schwebt, weiß nicht. Oben hat er Käferzangen, und rechts und links, wie zwei schiefe, abgerutschte Turbane, Haarnetze von Augen. Weißt du, daß die Fliegen zweitausend Augen haben, oder viertausend –

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Kurt Tucholsky: Lerne lachen ohne zu weinen. Ernst Rowohlt, Berlin 1932, Seite 268. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Lerne_lachen_ohne_zu_weinen_268.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)