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die Zartheit sich bemerklich macht. Blumen auf dem Kopfe haben wollen ist ebensosehr gegen die Natur als eine Speise mittels des Ohres, einen Schall mittels der Nase zu ergreifen. Alles aber, was widernatürlich ist, verdient das Brandmal der Ungeheuerlichkeit, bei uns aber auch noch den Titel eines Sacrilegiums gegen Gott, welcher der Herr und Urheber der Natur ist.“

Von dieser sophistischen Albernheit bis zur letzten Encyklika ist nur ein Schritt – sie sind beide derselben Technik entsprossen.

Die Kirche beweist alles, was sie anordnet, mit der schärfsten Logik, es stimmt scheinbar alles, Schritt für Schritt, Stufe für Stufe – und wenn sie am Ende der Kette angekommen ist, dann macht sie einen kleinen Hopser, der Denker beginnt zu fliegen und entschwindet den erstaunten Augen im Himmelblau. Er zieht sich nämlich auf den göttlichen Willen zurück, den er ja kennt: der liebe Gott hat ihm den unzweideutig mitgeteilt, und hier hört jede Diskussion auf.

Die Natur will es so! Gott will es so! Der göttliche Wille hat es also verordnet!

Kränze dürfen nicht auf den Kopf gesetzt werden. Kinder muß man austragen. Eine Ehe ist unlöslich.

Natürlich steht nirgendwo in der Kirchendogmatik, daß das sophistische Kunststückchen des Kirchenvaters Tertullian geglaubt werden müsse – das weiß ich wohl. Es ist nur so ein schönes Beispiel, wie es gemacht wird, wie dort gedacht und wie mit einer Scheinlogik die Berechtigung der Kirchengesetze bewiesen wird. Bewiesen –? Man kann alles beweisen.

Diese Apologetik gleicht den Playdoyers geschickter Rechtsanwälte. Hört man in einem Zivilprozeß nacheinander die wortgewandten Advokaten beider Parteien, so begriffe man den Richter gut, der nach jeder Beweisführung sagen könnte:

Empfohlene Zitierweise:
Kurt Tucholsky: Lerne lachen ohne zu weinen. Ernst Rowohlt, Berlin 1932, Seite 240. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Lerne_lachen_ohne_zu_weinen_240.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)