Seite:Lerne lachen ohne zu weinen 161.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Aus einem Augenwinkel aber, man sollte es gar nicht glauben, blitzt es wie ein Blick über die Erde, weit über die Erde, über die Académie Française, die so fein ist, und über die kleinen Damen der Straße, die gar nicht fein sind – du hörst das Leben. Und ein Lächeln rieselte dünn unter deinem Schnurrbart hinweg. Du denkst deinen Wappenspruch. Du denkst:

Et après? Na und –?“



Der Gallenbittre

Beim Kaiser Franz Joseph war Langlebigkeit schon beinahe ein Verdienst: zu denken, was er alles miterlebt hatte! Man tut bei alten Leuten gern so, als wären sie wirklich Teilnehmer an allen den Ereignissen gewesen, die sich da zu ihren Lebzeiten abgespielt haben – als ob Kriege, Friedensschlüsse, Morde und Hochzeiten nicht einfach kalendermäßig an ihnen vorbeigeglitten wären.

George Clemenceau aber hat teilgenommen. Der dreißigjährige Arzt war zur Zeit der Pariser Kommune Bürgermeister eines Arrondissements auf Montmartre – und was ist seitdem nicht durch seine Hände gegangen, woran hat er nicht alles mitgewirkt! Es gehört schon die ganze politische Instinktlosigkeit kleiner nationaler Provinzler dazu, ununterbrochen gegen Poincaré zu donnern und dabei zu vergessen, wer der Papa des Friedens von Versailles gewesen ist. Wer –?

Ein gallenbitterer, allem Pathos abholder, böser Knabe: Arzt, Politiker, Journalist, Angreifer, Besetzer eroberter Stellungen, hartnäckig wie ein Büffel, geschmeidig – und dann ein alter Mann, der still seine Devisenspekulationen

Empfohlene Zitierweise:
Kurt Tucholsky: Lerne lachen ohne zu weinen. Ernst Rowohlt, Berlin 1932, Seite 161. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Lerne_lachen_ohne_zu_weinen_161.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)