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ihn zögern sehen, niemals war er unsicher; mit buchhalterischer Sicherheit hatte er für alles eine Formel, einen Satz, etwas Eingelerntes, das ihm niemals jemand entreißen würde. Kleine Irrtümer berichtigte er sofort, blätterte gewissermaßen zurück und stornierte; er war sehr sparsam, dabei in guten Verhältnissen, er hatte in einer schwedischen Provinzstadt ein eignes kleines Haus, dessen Maße er auswendig wußte.

Er hatte einen Hund, der ihm aufs Wort – verstehn Sie? aufs Word! – gehorchte, und auf der andern Seite hatte er einen Chef. Er lebte außerordentlich rationell, turnte jeden Morgen, badete Luft, und alles, was er machte, war vernünftig, aber es war nur vernünftig, und das hatte etwas Schreckerregendes. Ich wartete darauf, daß er einmal, doch nur ein einziges Mal, etwas Irrationales, etwas ganz und gar Unsinniges tun oder sagen möchte – er tat es nicht.

Bei Tisch saßen wir uns oft gegenüber; er aß, was er sich auf den Teller getan hatte, sorgfältig auf, er hob den Teller schräg an und löffelte noch den letzten Rest Milch in sich hinein, und noch einen Rest, und nun den allerletzten, und ich begriff, daß eine Frau mit Nerven ihn im sechsunddreißigsten Ehejahr deswegen ermorden könnte. Er stand auf und wischte sich den Mund und hatte diese Mahlzeit bestellt, bezahlt, absolviert, und alles war in Ordnung.

Er nahm gern Kleinigkeiten an, liebte es, wenn man für ihn bezahlte – aber er bedankte sich freundlich dafür. Er war gefällig, übersetzte, dolmetschte, erklärte: er war gar kein schlechter Kerl.

Erregt habe ich ihn nur einmal gesehen, da kamen wir auf die Automobile in Schweden zu sprechen, und er sagte: „Ich bin che nu ein Gächner von diese Luxussachn, dieses Rumfahrn – was solln das?“ Ich machte eine kleine Einwendung … da brachen aus dem kleinen Mann die Polizei heraus, der geduckte

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Kurt Tucholsky: Lerne lachen ohne zu weinen. Ernst Rowohlt, Berlin 1932, Seite 34. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Lerne_lachen_ohne_zu_weinen_034.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)