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Wir verliessen Le Mans am 1. Februar und zogen durch eine vom Kriege wenig berührte Gegend mit dichten Tannenwäldern und bestellten Feldern in vier kleinen und angenehmen Tagemärschen nach St. Aubin, wo wir einige Tage liegen blieben. In einem Brief vom 5. Februar heisst es: ‚Diesen Brief schreibe ich im besten Zimmer eines reichen Bauerngehöfts; die Familie, mit der ich Freundschaft geschlossen habe, sitzt bei Tisch, die Aussicht aus dem Fenster ist reizend und in der einen Ecke liegt ein unermesslicher Haufen Aepfel, in der andern Säcke mit getrock­netem Obst, beides zu meinem Genuss. An die geringere Annehmlichkeit, mit 25 Mann zusammen im Quartier zu sein, hat man sich längst gewöhnt.‘ Dann ging es nach Dissay, einem kleinen Dorf in der Nähe von Château du Loir, da blieben wir fast vierzehn Tage. Mein Quartierwirt war ein junger Notar, der eine unangenehme alte Haushälterin hatte, aber selbst ein ganz netter Mann war; er unterhielt sich mit mir, gab mir französische Zeitungen und sah zu, wenn wir unser Essen kochten. Denn seit dem Waffenstillstand war es bestimmt, dass wir in den Quartieren nur Lager und Feuerstelle bekamen, alles übrige wurde nun wieder geliefert oder musste, wie der Wein, gekauft werden. Nun setzten wir also selber unsern Topf aufs Feuer, taten Fleisch, Kartoffeln und Reis hinein, und einer musste dabei sitzen, damit es nicht überkochte, und von Zeit zu Zeit die Kartoffeln anstechen, ob sie weich wären. Mein Notar unterhielt sich nur von Politik.

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Friedrich Leo: Kriegserinnerungen an 1870–71. Göttingen: W. Fr. Kaestner, 1906, Seite 71. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Leo_Kriegserinnerungen_71.jpg&oldid=- (Version vom 26.12.2019)