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allmählich zeigte, sechs Tage und fünf Nächte, und zweitens nährten sich meine Reisegefährten, besonders der eine, von dem ich gleich erzählen werde, mit an den Gaben meiner Mutter. Wenn die allgemeine Fütterung stattfand, bei der es oft sehr bunt zuging (meist wurde Speck, Brod, Kaffee und Schnaps geliefert) so konnten wir ruhig zusehn und uns des schönen Schatzes freuen; und doch waren wir nicht ganz zu Ende gekommen, als die Reise zu Ende war.

In Rolandseck also trennten wir uns, ich stieg wieder zu meinem Gepäck und Gewehr und die Reise ging durch das Rheintal mit beschneiten Bergen und eistreibendem Strom bei heller Sonne bis Bingen. Da wartete ein Freund, Dr. Witte, mit der Familie, bei der er Hauslehrer war, schon seit mehreren Stunden auf uns. Das war noch eine fröhliche Begrüssung, die letzte für lange Zeit. Von Bingen bis Landau schlief ich zwölf Stunden lang oder mehr, mit wenigen Unterbrechungen. Dann ging es ins Elsass, das hiess damals nach Frankreich hinein. Am Montag Vormittag fuhren wir vor Weissenburg mit schallendem „Heil dir im Siegerkranz“ über die Grenze. Nun waren wir in Feindes­land, und das merkten wir bald. Denn während bis dahin auf den Bahnhöfen und an den Wegen überall grüssende und Glück zuwinkende Menschen waren, stellten sich hier alte Weiber an dem vorbeifahrenden Zuge auf und machten die Geste des Halsabschneidens; einige sprangen mit Mistgabeln drohend aus den Häusern. Das erregte freilich nur Gelächter,

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Friedrich Leo: Kriegserinnerungen an 1870–71. Göttingen: W. Fr. Kaestner, 1906, Seite 19. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Leo_Kriegserinnerungen_19.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)