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ist nicht ohne verhängnisvolle Folgen geblieben. Gerade unsere übereifrige Jägerwelt hat in dieser Beziehung in letzter Zeit schon manche recht empfindliche Lehre erhalten. Auch das Raubzeug hat ja im großen Haushalt der Natur eine nicht zu unterschätzende Bedeutung, indem es die kranken Individuen und die Schwächlinge ausmerzt und dadurch die Arten um so kräftiger und lebensfähiger erhält. Seit die Adler in den Alpen nahezu ausgerottet sind, hat dort die Gemsräude erschreckend um sich gegriffen, weil eben das Raubtier fehlte, das die kranken Individuen vernichtet, ehe sie ihre Genossen anstecken können. Das Verschwinden des Habichts hat in vielen Gegenden eine rasche Vermehrung der Eichhörnchen im Gefolge gehabt, die alle Baumsämereien verzehren und alle Vogelbruten vernichten. Wo man Bussarde und Störche ausrottete, da haben sich die giftigen Kreuzottern so unheimlich vermehrt, daß man jetzt bestrebt ist, die vertriebenen Räuber künstlich wieder anzusiedeln. Und wo gibt es noch stärkeres Hochwild, in entlegenen Gegenden, wo der Wald noch im urwüchsigen Zustand erhalten ist, wo noch Bären und Luchse und Wölfe den Hirschen und Rehen nachstellen, oder in unseren umgatterten Tierparks, wo jedes Raubtier seit langem vernichtet ist, wo aber der Weidmann seine Hirsche und Rehe im Winter füttern und jederzeit mit Wildleckpulvern und ähnlichen Apothekermitteln arbeiten muß!

Es konnte nicht ausbleiben, daß einsichtige Männer auf die traurigen Folgen dieser unsinnigen Vernichtungswut aufmerksam wurden, und so setzte denn schon vor einem halben Jahrhundert eine Bewegung zum Schutze der Tiere und Pflanzen ein, die sich aber ausschließlich auf das sogenannte Utilitaritätsprinzip gründete, also die Schonung eines Tieres ganz von seinem angeblichen Nutzen oder Schaden für die menschliche Kultur abhängig machte. Die Zeit hat gelehrt, daß dieser Standpunkt ein völlig verfehlter war, da es im großen Haushalt der Natur weder ein absolut nützliches, noch ein absolut schädliches Tier gibt, sondern jedes seinen bestimmten Platz hat, jedes ein winziges Rädchen darstellt in der großartigen Maschinerie des Kosmos, ein Rädchen, dessen Wegnehmen die schlimmsten Folgen nach sich ziehen kann. Die völlige Ausrottung einer Tierart hat sich deshalb noch stets und überall früher oder später bitter gerächt. Die Natur reguliert sich eben am besten von selbst, und kurzsichtiges Eingreifen des Menschen wird niemals Gutes zeitigen auch nicht im umgekehrten Sinne, wie es wohlmeinende Naturfreunde öfters versucht haben. So hat sich die künstliche Einbürgerung des Sperlings in Nordamerika und des Kaninchens in Australien als eine höchst verfehlte Maßregel erwiesen, für deren Rückgängigmachung man heute gerne Millionen aufwenden würde. Sehen wir die Fachzeitschriften der 70 er, 80 er und 90 er Jahre durch, so werden wir sie zum größten Teil angefüllt finden mit Auseinandersetzungen über den Nutzen und Schaden dieser oder jener Tierart, aber niemals ist ein vollkommenes Einverständnis erzielt worden, niemals haben auch die größten Gelehrten und die besten Beobachter eine solche Streitfrage erschöpfend richtigstellen können. Für jeden Fall aber hatte diese Bewegung das eine Gute, daß überall Maßregeln zum Schutze wenigstens der vermeintlich besonders nützlichen Tierarten geschaffen wurden. Es bildeten sich Tier- und Vogelschutzvereine, es tauchten Nistkästen und Apparate zur Winterfütterung auf, alles jedoch Maßregeln, die nur den angeblich nützlichen Tieren zugute kamen, während man gegen die schädlichen nach wie vor den Vernichtungskrieg predigte. Allmählich aber mußte doch die Überzeugung durchdringen, daß diese Maßregeln im großen versagten, da sie nicht auf dem richtigen Grund aufgebaut waren. Man lehrte auch die Jugend, wieder mehr auf die einheimischen Tiere zu achten, aber man verstand es nicht, die Geschöpfe in ihren inneren biologischen Wechselbeziehungen vorzuführen, sondern ließ sie immer nur gewissermaßen wie in einem zoologischen Garten, jede Art für sich, vor dem geistigen Auge passieren und erhielt dadurch Zerrbilder, die der wirklichen Stellung des Tieres innerhalb des großen Ganzen keineswegs entsprachen. Allzu große Verhätschelung gewisser, von dieser Tierschutzrichtung bevorzugter Arten hatte deren Degeneration zur Folge, wie wir es ja alle an dem Beispiel der Amsel gegenwärtig miterleben. Und unser schöner deutscher Wald wurde über alldem unaufhaltsam ärmer und ärmer, stiller und öder, denn solche kleinen Maßregeln können wohl Individuen erhalten, nicht aber Arten, die ihren natürlichen Bedürfnissen nach auf die innige Symbiose mit gewissen Pflanzen angewiesen sind, die daher nur innerhalb eines ganz bestimmten Landschaftsbildes ihr Fortkommen finden können. Der Todfeind der Kreatur ist und bleibt eben unsere moderne Land- und Forstwirtschaft, die keinem Lebewesen mehr eine ungestörte Zufluchtsstätte gönnen will, sondern jeden Zollbreit Boden auf das Intensivste ausnützen

Empfohlene Zitierweise:
Kurt Floericke: Umschau über die Naturschutzbewegung. In: Kosmos – Handweiser für Naturfreunde, Bd. 6, Heft 4, Franckh’sche Verlagshandlung, Stuttgart 1909, Seite 99. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kurt_Floericke_Umschau_%C3%BCber_die_Naturschutzbewegung.pdf/3&oldid=- (Version vom 1.10.2017)