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kamen, also vor allem die Raubtiere und Fischfresser. Wo sind sie hin, die Reiher- und Kormorankolonien, die Bären, Luchse, Wildkatzen, Nörze und so viele andere, wo sind die Steinadler geblieben und die Bartgeier, an deren herrlichem Fluge sich noch vor ein paar Jahrzehnten jeder Besucher der Alpen erfreuen konnte? In die entlegensten Wildnisse sind sie verdrängt, und auch dorthin folgt ihnen unerbittlich der Jäger. Die kümmerlichen Reste von Raubwild, die heutzutage noch unser Forst birgt, schmelzen dahin wie der Schnee vor der Frühlingssonne, und selbst solche, deren Schädlichkeit eine recht geringfügige oder überhaupt zweifelhafte ist, werden nicht verschont. Nicht nur mit Pulver und Blei werden diese Überreste bedrängt, sondern auch mit raffiniert grausamen Fallen und tückischen Giften geht man ihnen zuleibe. Jede Jagdzeitung, die wir aufschlagen, enthält marktschreierische Inserate von Fallenfabrikanten und Giftpillen fabrizierenden Apothekern unter der Überschrift „Tod dem Raubzeug!“ oder „Vernichtung dem Raubgesindel!“. Die Fischereiberechtigten haben selbst der harmlosen Wasseramsel und dem wunderschönen Eisvogel, diesem fliegenden Edelstein unserer Gewässer, den Krieg erklärt. Daß unter diesem schonungslosen Kampf unsere Natur mehr und mehr verödet, daß es immer stiller, unheimlich still in unseren Wäldern und Fluren wird, das merken diese kurzsichtigen Menschen nicht in ihrem blinden, gierigen Hasten und Jagen nach materiellem Gewinn. Als ob es nicht auch höhere Güter für die Menschheit gäbe, als eine augenblickliche Bereicherung des Geldbeutels! Und dann kamen diejenigen Geschöpfe daran, die durch ihr herrliches Gefieder oder ihr wärmendes Pelzkleid die Habsucht und Eitelkeit üppiger, verweichlichter Menschen reizten. Es ist unglaublich, wie in dieser Beziehung gewütet worden ist. So manche Tierart war kaum für die Wissenschaft entdeckt, und schon wenige Jahrzehnte später mußte man sie in das immer mehr anschwellende Buch der ausgestorbenen Arten eintragen. Die Stellersche Seekuh, dieses wehrlose Geschöpf, das die Walfischfänger seines Fettes wegen zu Hunderten mit Knüppeln niederzuschlagen pflegten, ist bereits vom Erdboden verschwunden; des schwerfälligen Riesenalken große Eier dienten einst den Isländern zur Nahrung und werden heute das Stück von den Museen mit mehreren Tausend Mark bezahlt; die amerikanischen Bisons, deren Herden einst zu Millionen die weiten nordamerikanischen Prärien durchstampften und dem wilden Indianer seinen Lebensunterhalt gewährten, sind zusammengeschrumpft auf ein paar kümmerliche Trupps, die noch im amerikanischen Nationalpark ihr Dasein fristen, aber trotzdem nach und nach durch Wilddiebe und die schädlichen Folgen der Inzucht aufgerieben werden. Ins Unendliche ließe sich die Reihe dieser Beispiele vermehren, und es steht zu befürchten, daß jemand, der in einigen Jahrzehnten eine Naturgeschichte der deutschen Raubtiere schreiben wollte, nur noch einen einzigen großen Nekrolog verfassen könnte. Aber selbst die harmlose Kleintierwelt hat schwer gelitten und ist vielfach zur Auswanderung gedrängt worden durch die traurigen Folgen, die unsere Kultur für andere Lebewesen mit sich gebracht hat. Die Vernichtung der Feldhecken, des Unterholzes im Walde, das Ausmerzen der alten, hohlen Bäume beraubt selbst unsere Singvögel mehr und mehr der gewohnten Brutstätten. Das Trockenlegen aller Sümpfe und Moräste, das Regulieren der Bäche und Flüsse verdrängt alle die verschiedenen Arten Sumpf- und Wasservögel. Wer heute mit sehenden Augen und hörenden Ohren und fühlendem Herzen durch unsern verhunzten deutschen Wald geht, dem scheinen die langweiligen öden Bestände, dem scheint jedes Tier und jeder Vogel zuzurufen: Hab’ doch Erbarmen mit uns, du Mensch, du grausamer, unerbittlicher!

Jedoch die Natur läßt sich nicht spotten, sich nicht ungestraft verhunzen. Sie wehrt sich gegen die selbstsüchtige Herrschaft, die der Mensch über sie ausüben möchte, und schon machen sich allenthalben die schädlichen Folgen dieser kurzsichtigen und einseitigen Behandlung geltend, die ihr gegenüber Platz gegriffen hat. Die Wälder liefern nicht die Erträge, auf die der Forstmann glaubte rechnen zu dürfen, denn die Verwandlung in einförmige, gleichmäßig abgeholzte Bestände bot der verheerenden Gewalt der Stürme freies Spiel, begünstigte den Ausbruch von allerlei Pflanzenkrankheiten und die unheimliche Vermehrung der verschiedensten forstschädlichen Insekten; die Vernichtung des Unterholzes hat in vielen Gegenden schwere klimatische Nachteile mit sich gebracht. Das Eindämmen der Ströme hat diese ihrer natürlichen Inundationsgebiete beraubt und verursacht, wenn einmal der schützende Damm durchbrochen ist, um so fürchterlichere Überschwemmungen. Die rasche Abnahme der Singvögel hat ein Überhandnehmen der Pflanzenschädlinge in der Kerbtierwelt bewirkt, und selbst die schonungslose Vernichtung des Raubzeugs

Empfohlene Zitierweise:
Kurt Floericke: Umschau über die Naturschutzbewegung. In: Kosmos – Handweiser für Naturfreunde, Bd. 6, Heft 4, Franckh’sche Verlagshandlung, Stuttgart 1909, Seite 98. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kurt_Floericke_Umschau_%C3%BCber_die_Naturschutzbewegung.pdf/2&oldid=- (Version vom 1.10.2017)