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dieses Stimmungswechsels, von dem die künstlerische Wirkung des Gedichtes abhängig ist.

Ja, hat denn Goethe selbst diese psychologischen Gesetze gekannt? werden Sie mich hier wieder fragen. Freilich hat er sie gekannt; wir besitzen Bemerkungen von ihm, in denen er gerade sein Verfahren in diesem Gedichte verteidigt gegenüber solchen, denen die von ihm gewagte Abweichung vom Gebräuchlichen zunächst nicht einleuchten wollte. Aus tausend Stellen seiner Briefe und Abhandlungen kann man sich überzeugen, wie bewußt er die psychologischen Gesetze seiner Kunst handhabte.

Aber wie ist er denn dazu gekommen? wird wieder gefragt werden; die Psychologie seiner Zeit war ja viel zu wenig entwickelt, als daß er sie hätte benutzen können. Dies ist wiederum richtig; er hat sich seine Psychologie eben selbst gemacht, indem er zunächst aufmerksam alle seine eigenen Erfahrungen über die verschiedenen Gefühle beobachtete und sich zum Bewußtsein brachte; jede Seite von „Wahrheit und Dichtung“ gibt Auskunft über diese seine Tätigkeit, wo sich der eigenen Brust geheime tiefe Wunder öffnen. Hierzu nahm er die Erfahrungen an anderen, die er bei seinem lebhaften geselligen und sonstigen Verkehr reichlich zu sammeln Gelegenheit hatte. Nachdem er so das Material zusammen

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Wilhelm Ostwald: Kunst und Wissenschaft. Verlag von Veit und Comp., Leipzig 1905, Seite 27. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kunst_und_Wissenschaft.pdf/33&oldid=- (Version vom 1.8.2018)