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Diese Betrachtungen erklären uns auch den interessanten Entwicklungsgang, den unser Gefühl fur Naturschönheit genommen hat. Es ist ja bekannt, daß z. B. unsere Fähigkeit, uns an der Schönheit der Alpen zu begeistern, recht neuen Datums ist. Sie ist erst in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts entstanden und auch hier hat Goethe als einer der Bahnbrecher gewirkt. Die Schönheit der norddeutschen Marschlandschaften ist noch viel neueren Datums, ebenso die der Havelseen in der Umgebung Berlins. In allen diesen Fällen handelt es sich um Entdeckungen durch Künstler, die auf diese Weise der Menschheit ein noch wertvolleres Geschenk machten, als durch ihre Kunstwerke selbst. Daß aber Künstler, und nur solche, zu derartigen Entdeckungen befähigt sind, rührt eben daher, daß Künstler berufsmäßig die Quellen willkommener Gefühle zu finden und zu regeln haben, und daß sie solche in der Natur selbst erlebt haben müssen, bevor sie sie wiedergeben und anderen Menschen zugänglich machen können.

An der Hand unserer so als angemessen bewährten Begriffsbestimmung wird es uns nun leicht werden, das Verhältnis der Kunst zur Wissenschaft festzustellen. Handelt es sich um die Erweckung von Gefühlen, so kommen zwei Wissenschaften in Betracht: einerseits

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Wilhelm Ostwald: Kunst und Wissenschaft. Verlag von Veit und Comp., Leipzig 1905, Seite 24. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kunst_und_Wissenschaft.pdf/30&oldid=- (Version vom 1.8.2018)