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wegen der Kunst werden aber einige Zweifel berechtigt sein. Es kann auch alsbald zugestanden werden, daß Kenntnis des Menschen und der Natur nicht die eigentliche Aufgabe der Kunst ist. Ihre Aufgabe ist sie nicht, aber ihr Mittel. Und da eine Kunst ohne ihr Mittel nichts ist, so ist eine Kunst ohne Kenntnis des Wesens der Menschen und der Natur auch nichts.

Was ist denn aber eigentlich die Aufgabe der Kunst? Nun, ich weiß sehr wohl, daß es auf diese Frage ungefähr ebensoviele verschiedene Antworten gibt als Personen, die sie zu beantworten versucht haben. Es ist ein sehr dorniger Boden, den ich hier betreten; aber wir können nicht anders, wir müssen hier festen Fuß fassen, sonst kommen wir nicht weiter! Von einem nüchternen Naturforscher werden Sie nicht erwarten, daß er eine der ebenso schwungvollen wie unverständlichen Definitionen der Kunst zutage fördert, die sich hier so vielfältig finden. Aber wenn ich alles durchsuche, was ich von Kunsteinflüssen in meinem Leben gehabt habe, so läßt es sich unter folgende Beschreibung bringen: Die Kunst soll uns in den Stand setzen, willkürlich erwünschte Gefühle hervorzurufen.

Ich mache mich darauf gefaßt, daß jetzt eine große Anzahl unter Ihnen in Ihrem Herzen denken, daß Sie etwas so verzweifelt Nüchternes selbst nach den bisherigen

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Wilhelm Ostwald: Kunst und Wissenschaft. Verlag von Veit und Comp., Leipzig 1905, Seite 15. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kunst_und_Wissenschaft.pdf/21&oldid=- (Version vom 1.8.2018)