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„Weshalb nicht?“

„Ich weiß nicht – aber du bist so – so –“

„Wie bin ich?“ fragte sie ernst.

„So – ich weiß nicht – so wie das Bild der Mutter Gottes in unserer Kirche …“

Sie lachte wieder; nicht sehr herzlich, aber doch; dann verstummten beide. – – –

Schweigend schritten sie eine Zeit lang weiter.

Er war schön und kräftig gebaut, und sie bewunderte ihn heute wie schon früher.

Einmal kam ihr der Gedanke in den Sinn, wie er wohl wäre, wenn er ein Mädchen liebte, und weiterhin fiel ihr, sie wußte selber nicht weshalb, der Satz ein: „Von starkem Arme geborgen zu sein …“

Sie hielt viel auf physische Kraft und körperliche Schönheit, und wenngleich sie selten „liebte“, so empfand sie immer Wohlgefallen an schönen, kräftigen Menschen. Wenn sie sich müde fühlte, so empfand sie oft eine wehmütige Sehnsucht, ein Bedürfnis, sich an der Brust irgend jemandes auszuruhen. Dieser jemand hätte aber kräftig und kühn sein müssen. Vor allem – kühn.

Sie mäßigte ihre Schritte.

Empfohlene Zitierweise:
Olga Kobylanska: Kleinrussische Novellen. J. C. C. Bruns’ Verlag, Minden i. Westf. [1901], Seite 25. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:KobyljanskaKleinrussischeNovellen.pdf/63&oldid=- (Version vom 13.9.2022)