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Die Werkstatt eines kommenden Geschlechtes.
Zum erstenmal liebermüdet lag
Die Welt, und Schlaf bedeckte ihre Lider.
     Da vom einsamen Wolkenzipfel des Bergs,
Auf den sie geflüchtet, erhob sich Lilith;
Sie warf um den Nacken den Mantel des Traums,
Und unhörbaren Schritts in das Hochzeitsgemach
Trat sie ein und beugte sich über das Bett
Der schlummernden Gatten. Und langsam streckte
Sich ihre Hand und griff das goldene Haar
An ihrer Schläfe, und des Mundes Hauch
Verwehte es, und wogend stand ein Kornfeld,
Und durch die Ähren ging der Sommerwind.
Und mit der Hand die rätselhaften Augen
Berührte sie, da wölbte der Äther
Hoch über der Ferne sein blaues Geheimnis,
Und gleich dem Kummer auf Liliths Stirn
Zog Wolkenschatten daher und verschwand –
Und sie regte die Lippen zu unverstandenem,
Leisklagendem Wort, und weiter rauschten
Die Baumeswipfel den dunklen Klang;
Der Bach vernahm ihn, die murmelnde Quelle,
Und auf gewaltigen Rücken trug
Das Meer ihn fort von Gestad’ zu Gestad’ –
Und Lilith sprach und ihre Stimme bebte:
„Unglücklicher Sohn in der Mutter Schoß,
Unselig Geschlecht, dich stieß die Hand
Des Ahnherrn aus dem Paradies.
Du schläfst und Jahrtausende schlummern in dir –
Ich zürne nicht dir, bleichwangig Weib,
Mit Weh gebären wirst du die Menschheit
Und blühen und welken in Furcht und Begier,
Die Flamme des Himmels, die ich euch bot,
Ihr werdet sie stehlen, und zitternd in Macht
Wie Diebe verbergen den heimlichen Raub;
Das ewige Hohe, ihr werdet’s verändern,
Das Reine beflecken, das Göttliche schmähn.
Denn, lang umirrend vom Tag der Geburt,
Mich werdet ihr suchen, so viele ihr seid,
Ob wie Körner des Sands, wie Wellen im Meer.