Seite:Klabund Deutsche Literaturgeschichte in einer Stunde 086.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Dramen und Gedichte, Däubler das diesseitige Epos „Nordlicht“, voll von Schwelgereien und Orgien des Wortes und des Reimes. Richard Dehmel (geb. 1863 im Spreewald) hält sein Gesicht den romantischen Gestirnen zugewandt. Die goldene Kette der deutschen Lyrik ist ohne ihn nicht denkbar, er ist ein kostbares Glied in ihr, deren Anfang Walter von der Vogelweide, deren vorläufiges Ende Franz Werfel hält. Er hat die Tradition der deutschen Lyrik über eine Zeit der schauerlichsten Verfahrenheit und Traditionslosigkeit hinübergerettet. Als alles tot und trübe schien. Er hat der deutschen Lyrik das Liebeslied neu geschenkt: Das dunkle Du, das dunkle Ich, die durch die Nacht sich suchen – und sich finden.

Von Naturalismus kam Detlev v. Liliencron (aus Kiel, 1844–1899), der lyrische Husar, aber er setzte bald mit seinem Pegasus im trefflichsten Galopp darüber hinweg.

Christian Morgenstern schuf in seinen „Palmström“gedichten eine grotesk-philosophische Lyrik eigenster Prägung, die besonders dem menschlichen und vermenschlichten Tier zu Leib und Seele rückt. Da erscheint ein Steinochs, der sich von menschlicher Gehirne Heu nährt. Auf schwärmt am Horizont ergrauter Kasernenhöfe der sagenhafte E. P. V. (auch Exerzierplatzvogel genannt). Wir sind hoch und heiter beglückt, daß es ihn und Palmströms und v. Korfs geniale und fundamentale Melancholie – immerhin – noch gibt. Schade, daß ich beim neuerlichen Quellenstudium für diese kleine Literaturgeschichte v. Korfs glänzende Erfindung nicht benutzen konnte, welcher, weil er schnell und viel lesen mußte, eine Brille erfand,

deren Energien
ihm den Text zusammenziehn.
Beispielsweise dies Gedicht,
läse, so bebrillt, man – nicht!
Dreiunddreißig seinesgleichen
gäben erst – ein – – Fragezeichen!

Empfohlene Zitierweise:
Klabund: Deutsche Literaturgeschichte in einer Stunde. Leipzig-Gaschwitz: Dürr & Weber, 1920, Seite 86. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Klabund_Deutsche_Literaturgeschichte_in_einer_Stunde_086.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)