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Körner, so ist sein helles Gestirn lange von der Wolke eines Geibel beschattet worden, und bis ans Ende des 19. Jahrhunderts haben eigentlich wenige gewußt, was hinter dem biederen Pfarrer von Kleversulzbach steckt. Ferdinand Freiligrath (aus Detmold, 1810–1876), um noch den besten zu nennen, blendete die deutsche Leserwelt mit seiner Exotik voll ungewöhnlichen lyrischen Farbenreichtums. Der Allerweltsepigone Geibel und die Geibelepigonen versüßlichten den Geschmack des deutschen Publikums vollends, so daß es an einem klaren Trunk, wie ihn Mörike kredenzte, keinen Geschmack mehr fand. Zu alledem schrien dem deutschen Volk die politischen Dichter noch die Ohren voll, Herwegh an der Spitze, bescheiden wie sie immer sind, traten sie trompetend vor ihre Jahrmarktsbude und schrien: „Nur immer hereinspaziert, meine Herrschaften! Wir haben die einzig echte, die einzig wahre, die politische Kunst gepachtet!“ Sie hatten eine Menge Zulauf, zum Teil gewiß mit Recht. Auch Freiligraths wohlassortierte Menagerie, in der der Wüstenkönig, der Löwe, die Hauptattraktion bildete, und wo ein waschechter Mohrenkönig an der Kasse saß, wurde überlaufen. Der Blumenstand, an dem die Muse selbst Mörikes Feldblumen – oder auch Rosen und Nelkensträuße feilhielt, wurde nicht beachtet. Eduard Mörike hatte mit einer Paraphrase des Wilhelm Meister: dem Roman Maler Nolten, begonnen, der nicht ohne Eindruck blieb. Mit Gottes Wort, das Gott ihm selber in den Mund gelegt, mit seinen Gedichten predigte der Kleversulzbacher Pfarrer lange tauben Ohren. Seine Verse sind nicht gemeißelt wie die Hölderlinschen, nicht in der Trunkenheit hinausgebrüllt wie die Güntherschen, nicht ziseliert wie die Heineschen, geflötet wie die Platenschen: sie fielen wie reife Früchte vom Baum in seinen Pfarrhausgarten. Sie sind nicht erkünstelt, nicht erzwungen: sie sind rund und vollendet und duften wie reife Äpfel. Der Sonnenblume gleich stand sein Gemüt offen. Er brauchte in seiner friedlichen Seele keine

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Klabund: Deutsche Literaturgeschichte in einer Stunde. Leipzig-Gaschwitz: Dürr & Weber, 1920, Seite 74. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Klabund_Deutsche_Literaturgeschichte_in_einer_Stunde_074.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)