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In den „Hymnen an die Nacht“, der wahren Göttin der Romantik – die Klassiker hatten den Tag geliebt und gepriesen, die Sonne war ihr Symbol, das Symbol der Romantiker: der Mond – gab Novalis sein Tiefstes.


Eichendorff und Hölderlin sind Nord- und Südpol der deutschen Lyrik. Goethe ihre Erdmitte. Hölderlin: ein Einziger unter den Deutschen, der hieratische Priester der heiligsten Empfängnis, der strengsten Verkündigung: Kind und Greis. Anfang und Ende. Goethe: der Mann, gewaltig schreitend, Flamme und Tuba. Eichendorff: das deutsche All: im Regenbogen. Herzen des Jünglings im Sommerabend wie eine erste und letzte Rose aufbrechend: durchblühend die Nacht bis zum Morgenrot. Eichendorff: das Volkslied. Goethe: die Trilogie der Leidenschaft des geistigen Menschen. Hölderlin: der Gottgesang. Wohl über ein halbes Hundert der schönsten deutschen Gedichte ist der schwärmenden, unbeirrbaren Einfalt des ewigen Jünglings Eichendorff (1788 geboren auf Schloß Rubowitz in Schlesien, gestorben 1857) gelungen. Darunter ein Dutzend der allervollkommensten : „Zwielicht“, „Abend“, „Nachtgruß“ – so sind sie überschrieben. Es ist die deutsche Sommernacht, welche zu tönen beginnt:

Nacht ist wie ein stilles Meer,
Lust und Leid und Liebesklagen
Kommen so verworren her
In dem linden Wellenschlagen.

Am Fenster lehnt ein junger Mensch und sieht hinaus in den milden Mond: der schwebt wie eine goldene Träne an seinen Wimpern. Da klingt aus weiter Ferne der Ton eines Posthornes – zwei junge Gesellen wandeln schattenhaft vorbei. –

Neben dem schlesischen Junker wurde auch ein preußischer Junker: Heinrich v. Kleist (aus Frankfurt a. O., 1777 bis

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Klabund: Deutsche Literaturgeschichte in einer Stunde. Leipzig-Gaschwitz: Dürr & Weber, 1920, Seite 58. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Klabund_Deutsche_Literaturgeschichte_in_einer_Stunde_058.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)