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gar nicht gesucht hatten, die ihnen aber in den Schoß fielen. Sie lernten das Leben der unterirdischen Tiere: der Engerlinge und Maulwürfe, beobachten und kamen an den Ursprung mancher Wurzel. Dann und wann trafen sie auch mit ihren Spaten auf ein historisches oder prähistorisches Skelett. Sie brachten es ans Licht und suchten es zu bestimmen. Und wenn sie auch keine Entdeckung machten wie Goethe mit seinen Kieferknochen: sie entdeckten doch die Lebendigkeit des Todes. Der Tod war ihnen, dies lernte besonders Novalis beim Tod seiner Braut, der mädchenhaften Sophie von Kühn, begreifen, kein rein tragisches Problem mehr: schicksalhaft verhängt, konnte er selbst den Überlebenden beseligen; wie er den Toten vollendete, dem Überlebenden auch zur Vollendung dienen. Die Menschen, die dem Leben von der anderen Seite beizukommen suchten, das waren die Romantiker. Es ist klar, daß diese Umkehrung der Erdkugel, dies Auf-den-Kopf-Stellen der Dinge und Begriffe, dies die Sterne auf die Erde herunterholen in der extremsten Fassung zum Paradoxon einerseits, zur Anbetung des Fragmentes andererseits führen mußte. Weder Tieck noch Brentano sind der Versuchung überspitzter Experimente entgangen. Einzig Novalis und Eichendorff, jener der edelste und zarteste, dieser der kräftigste Schoß am Strauch der Romantik, haben sich zur Vollendung entwickelt. Der Hang, mit sich selber und den anderen immer Zwiesprache zu halten, mußte zur ernsten und heiteren Geselligkeit führen, bei der die Frauen dann – wie sollte es anders sein? – das große und das kleine Wort führten. Ohne Bettina von Arnim und Rahel von Ense ist die Romantik nicht zu Ende zu denken. Aus den Tiefen der deutschen Volkspoesie hoben Arnim (aus Berlin, 1781–1831) und Brentano (aus Ehrenbreitstein, 1778–1842) jene wundervollen Volkslieder, die sie in des „Knaben Wunderhorn“ sammelten. Sie selber freuten sich wie Kinder – und Kinder waren eigentlich alle Romantiker irgendwie

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Klabund: Deutsche Literaturgeschichte in einer Stunde. Leipzig-Gaschwitz: Dürr & Weber, 1920, Seite 56. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Klabund_Deutsche_Literaturgeschichte_in_einer_Stunde_056.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)