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Gottfried August Bürger (1747–1794, geboren in Ballenstedt) zu nennen, dessen titanischem Wollen (wie den meisten der Stürmer und Dränger) nur ein sehr menschliches Gelingen beschieden war. Hin und her gerissen zwischen zwei Frauen schwebte er zwischen Himmel und Erde, bis ihn die Erde gnädig in ihren Schoß wieder zurücknahm. Er war ihr einer ihrer liebsten, aber auch unglücklichsten Söhne. Seine Lieder an Molly sind von einer rasenden Leidenschaftlichkeit, der die Zügel durchgehen wie einem wildgewordenen Hengste. Vollkommen bewährte er sich in seinen „Balladen“. Auch die Nacherzählung von „Münchhausens wunderbaren Reisen“ (1786) muß ihm herzlichst gedankt werden, so wie wir dankbar bei dieser Gelegenheit des alten Musäus (1735–1787) gedenken müssen, der die Volksmärchen der Deutschen, darunter die Schnurren vom grobschlächtigen, prachtvollen, schlesischen Waldgott Rübezahl damals gerade sammelte und nacherzählte.


Waren die Hainbündler mehr besinnlich und lyrisch, so waren die Stürmer und Dränger mehr sinnlich und dramatisch, heute würde man sagen: mehr politisch, mehr aktivistisch gerichtet. Sie litten unter der sozialen und politischen Ungerechtigkeit des Zeitalters. Das Motto Schillers, das er über „Die Räuber“ setzte: In tyrannos! kann man über die ganze Richtung[1] setzen. Stürmer und Dränger waren die deutschen Vorläufer und Brüder der französischen Revolutionäre von 1789. Wie Wilhelm II. dem Erwachen der deutschen Dichtung aus dem patriotischen Winterschlaf nach dem siegreichen Krieg von 1870/71 zur Selbstbesinnung, zur Erhebung, zur Vergeistigung von seinem Standpunkt mit dem größten Recht mißtrauisch gegenüberstand – denn eine Revolution des Geistes pflegt eine solche der Tat immer auf dem Fuße zu folgen: so standen die damaligen Souveräne dem Ansturm der Stürmer ablehnend und erbittert

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Richtunng
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Klabund: Deutsche Literaturgeschichte in einer Stunde. Leipzig-Gaschwitz: Dürr & Weber, 1920, Seite 38. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Klabund_Deutsche_Literaturgeschichte_in_einer_Stunde_038.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)