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Meistersingerschulen entstanden. Die Dichter dieser Gesellschaft, zu denen auch der gute Philipp Harsdörffer gehört, der Erfinder des „Nürnbergischen Trichters“ (mit dem er den bedauernswerten Zeitgenossen die Poesie künstlich eintrichtern wollte), führten je einen Hirtennamen und als Symbol je eine Blume im Dichterwappen. Hagedorn und seine Kameraden sind nun ein wenig begabter als ihr Vorläufer im 17. Jahrhundert. Die Hainbündler, die Stürmer und Dränger, der junge Goethe: sie konnten lange nicht von den hier angeschlagenen Tönen los kommen. Aber außer Goethe gelang es noch einem Lyriker, seiner im Walde der Anakreontik geschnitzten Flöte eigene Töne zu entlocken: dies war Johann Georg Jacobi (aus Düsseldorf, 1740–1814). „Ihm war die Grazie (– übrigens das Lieblingswort der Epoche! –), die so mancher Anakreontiker sich mühsam anlernen mußte, angeboren“ heißt es im Vorwort zu seinen „Sämtlichen Werken“. Verse wie die „An ein sterbendes Kind“ gerichteten, sind auch rhythmisch so kühn und neu, daß sie von Goethe sein könnten.

Gottfried Keller hat in seiner Novelle „Der Landvogt von Greifensee“ ein reizendes Bild von einem ländlichen Fest gemalt, des der Züricherische Dichter Salomon Geßner (1730 bis 1788) auf seinem Landhaus im Sihlwald seinen Freunden gibt. Dieser Salomon Geßner ist der Schöpfer der deutschen Idylle. Sein Talent ist begrenzt, aber innerhalb der Grenzen seines Talentes bewegt er sich mit vollendeter Sicherheit und Vollkommenheit. Er gehört zu den allerliebenswürdigsten Erscheinungen der deutschen Dichtung. Geßner war einmal eine europäische Berühmtheit. Es wird nicht besser werden in der Welt, ehe es Geßner nicht wieder ist. Wir werden erst dann den ewigen Frieden haben, wenn solche arkadische Dichter wie er wahrhaft populär geworden sind.

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Klabund: Deutsche Literaturgeschichte in einer Stunde. Leipzig-Gaschwitz: Dürr & Weber, 1920, Seite 32. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Klabund_Deutsche_Literaturgeschichte_in_einer_Stunde_032.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)