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im spiegelhellen Wasser seine Eseleinsgestalt. Darüber war es so betrübt, daß es in die weite Welt gieng und nur einen treuen Gesellen mitnahm. Sie zogen auf und ab, zuletzt kamen sie in ein Reich, wo ein alter König herrschte, der nur eine einzige aber wunderschöne Tochter hatte. Das Eselein sagte „hier wollen wir weilen,“ klopfte ans Thor und rief „es ist ein Gast haußen, macht auf, damit er eingehen kann.“ Als aber nicht aufgethan ward, setzte er sich hin, nahm seine Laute und schlug sie mit seinen zwei Vorderfüßen aufs lieblichste. Da sperrte der Thürhüter gewaltig die Augen auf, lief zum König und sprach „da draußen sitzt ein junges Eselein vor dem Thor, das schlägt die Laute so gut als ein gelernter Meister.“ „So laß mir den Musikant hereinkommen“ sprach der König. Wie aber ein Eselein hereintrat, fieng alles an über den Lautenschläger zu lachen. Nun sollte das Eselein unten zu den Knechten gesetzt und gespeist werden, es ward aber unwillig und sprach „ich bin kein gemeines Stalleselein, ich bin ein vornehmes.“ Da sagten sie „wenn du das bist, so setze dich zu dem Kriegsvolk.“ „Nein,“ sprach es, „ich will beim König sitzen.“ Der König lachte und sprach in gutem Muth „ja, es soll so sein, wie du verlangst, Eselein, komm her zu mir.“ Danach fragte er „Eselein, wie gefällt dir meine Tochter?“ Das Eselein drehte den Kopf nach ihr, schaute sie an, nickte und sprach „aus der Maßen wohl, sie ist so schön wie ich noch keine gesehen habe.“ „Nun, so sollst du auch neben ihr sitzen“ sagte der König. „Das ist mir eben recht“ sprach das Eselein und setzte sich an ihre Seite, aß und trank und wußte sich fein und säuberlich zu betragen. Als das edle Thierlein eine gute Zeit an des Königs Hof geblieben war, dachte es „was hilft das alles, du mußt wieder heim,“ ließ den Kopf traurig hängen, trat vor den König und verlangte seinen Abschied. Der König hatte es aber lieb gewonnen und sprach „Eselein was ist dir? du schaust ja sauer wie ein Essigkrug:

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Brüder Grimm: Kinder- und Haus-Märchen Band 2 (1857). Göttingen 1857, Seite 265. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kinder_und_Hausm%C3%A4rchen_(Grimm)_1857_II_265.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)