Seite:Kinder und Hausmärchen (Grimm) 1856 III 398.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

und boshafte List auf eine seltsame Weise mischt. Das Märchen von der Wunderkuh enthält eigentlich das deutsche von Ferenand getrü (Nr. 126), nur ursprünglicher und besser. Da der arme Mann keinen Pathen finden kann, so übernimmt Gott selbst die Stelle und macht dem Kinde eine Kuh zum Geschenk, von deren Nachkommen zwei durch große Wundergaben sich auszeichnen. Als der begünstigte Jüngling einmal eine schwere Aufgabe vollbringen soll, aber eingeschlafen und die Zeit zu weit vorgerückt ist, so schleudert die Kuh mit ihren Hörnern die Sonne bis zur Mittagsstunde am Himmel zurück, ein Gedanke, der an die Kühnheit von Kalevala erinnert. Einzelne auffallende Züge kommen ebenso in den deutschen Märchen vor, aber in anderer Verbindung. So läßt, hier (Seite 106) wie dort (Nr. 107), der von Hunger gequälte sich für ein wenig Speise die Augen ausstechen: wie dort (Nr. 1) das Herz des treuen Dieners, ist hier (Seite 145) die Brust des Helden Wilisch mit drei eisernen Banden umgürtet, die hernach zerspringen: wie dort Sneewittchen (Nr. 58), so ist hier (Seite 200) ein Weib weiß wie Schnee, roth wie Blut, schwarz wie Rabenfedern, und wie Sneewittchen beim strählen der Haare durch einen vergifteten Kamm betäubt wird, so steckt hier (Seite 251) eine boshafte Alte bei gleicher Gelegenheit dem schönen Mädchen eine Zaubernadel (den Schlafdorn der Brünhild) in das Haupt.

Aus der Bukowina sind erst vier Märchen bekannt, die sich ähnlich auch in Deutschland finden. Die beiden Töchter sind die Mädchen, die zu der Frau Holle kommen (Nr. 24), der kleine Teufel ist Daumesdick (Nr. 37), die zwei Knechte gehören zu den zwölf Faulen (Nr. 151), und der närrische Prinz entspricht dem goldenen Vogel (Nr. 57).

Die Überlieferungen der Walachen waren slavischen und deutschen Einmischungen ausgesetzt, während seinem Ursprung nach das Volk zu den Romanen gehört. In dem großen Bereich, den diese einnehmen, ist für die Auffassung der Märchen nichts Nennenswerthes geschehen. Freilich seit Basiles Pentameron war in Italien schwerlich etwas von Belang nachzutragen, und ich freue mich nur bemerken zu können daß durch die Übersetzung von Lieberecht dies schätzbare Buch zugänglicher geworden ist, auch das Urtheil, das ich darüber (oben S. 291. 292) ausgesprochen habe, Beistimmung gefunden hat. Sammlungen von Märchen aus Spanien und Portugal sind mir nicht

Empfohlene Zitierweise:
Brüder Grimm: Kinder- und Haus-Märchen Band 3 (1856). Dieterich, Göttingen 1856, Seite 398. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kinder_und_Hausm%C3%A4rchen_(Grimm)_1856_III_398.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)