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Am meisten klingt zusammen die Erzählung von dem Feuervogel und dem grauen Wolf mit der deutschen von dem Goldvogel (Nr. 57), und doch verbleibt einer jeden ihre Selbständigkeit.

Das Märchen eines Kosacken unterscheidet sich dadurch, daß es in der Thierwelt spielt und zugleich eine lehrhafte Richtung hat. Der Wolf wird vom Fuchs verleitet den Gebieter der Thiere um Nahrung und Sättigung anzugehen. Er wird von einem Thier zum andern gewiesen, von allen aber mishandelt. Zuletzt wendet er sich an die Menschen, wo es ihm nicht besser ergeht: sie zwingen ihn eine Hundshaut anzuziehen. Da er nirgend Recht und Gerechtigkeit finden kann, so lebt er fortan kümmerlich von Raub und Diebstahl.

Die von Woycicki geschickt aufgefaßten polnischen Märchen haben in ähnlicher Weise wie die russischen häufig mit deutschen die Grundlage gemein, weichen aber in der Ausführung ab. So z. B. kommt auch hier Aschenputtel (Nr. 21) und Allerleirauh (Nr. 65) vor. Geringen Werth haben die Märchen aus dem Weichselthal von Uhl, denn nur weniges darin stützt sich auf Überlieferung, und dies wenige wird durch eine überladene Sprache fast erstickt. Am merkenswerthesten ist das dem deutschen (Nr. 105) ziemlich nahe kommende von der Hausschlange die mit dem Kinde aus Einer Schüssel Milch ißt.

Die böhmischen Märchen von Milenowsky sind wohl auf Überlieferung gegründet, aber sie ist dürftig und durch die breite mislungene Bearbeitung verdeckt. Desto mehr Lob verdienen die von Wenzig nach Kulda übersetzten, gut erzählten Märchen, denen es nicht an Eigenthümlichkeit fehlt. Ein Dummling führt Eulenspiegelstreiche der besten Art aus.

Unter den Märchen der Wenden in der Lausitz finden sich auch Thiermärchen. Sie handeln von der List des Fuchses, womit er den täppischen Wolf betrügt, und zeichnen sich durch Vollständigkeit und natürliche Darstellung aus; fast zu allen gibt es entsprechende deutsche.

Die reichhaltige Sammlung walachischer Märchen behält ihren Werth, wenn auch nicht überall der rechte Ton in der Erzählung getroffen ist. Wir finden hier die Mannigfaltigkeit der deutschen, mit denen sie zum Theil nah zusammen kommen, z. B. mit Allerleirauh, Sneewittchen, Tischchendeckdich, aber daneben zeigen andere merkwürdige Eigenthümlichkeiten. Dahin zähle ich unter andern die gewis uralte, hier mit seltener Vollständigkeit erhaltene Sage von Bakâla, der wie das deutsche Bürle (Nr. 61) den Schein der Gutmüthigkeit

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Brüder Grimm: Kinder- und Haus-Märchen Band 3 (1856). Dieterich, Göttingen 1856, Seite 397. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kinder_und_Hausm%C3%A4rchen_(Grimm)_1856_III_397.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)