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Erzählung nachtheilig wirkt. Sie zeigen Verwandtschaft mit ungarischen und deutschen, im ganzen aber geringe Eigenthümlichkeit. Das letzte, der kleine Kerza, verbindet das deutsche Märchen von Daumesdick (Nr. 37) mit dem sonst weit abliegenden vom starken Hans (Nr. 116), fügt aber zu jenem einige neue Züge. Auszeichnen muß ich aber ein Lügenmärchen, das vollständiger und zusammenhängender erzählt als das verwandte deutsche (Nr. 112).

Bekannt sind die epischen Lieder der Serben, und ihre Schönheit stellt niemand in Abrede: von der natürlichen Frische ihrer Märchen zeigt die Sammlung von Wuck Karadschitsch. Nur wenige sind darunter, denen nicht ein deutsches entspräche, wie sich auch einzelne verwandte, nur verschieden eingeflochtene Züge finden. Ein gleiches gilt von den albanesischen Märchen, wie ich in Wolfs Zeitschrift für deutsche Mythologie (1, 377–81) näher nachgewiesen habe.

Die in alten fliegenden Blättern zu Moskau gefundenen, noch nicht vollständig bekannt gemachten russischen Märchen enthalten großentheils echte Überlieferung in einfacher, etwas trockener Erzählung; wahrscheinlich würde, wenn man bei den Landleuten sorgsam nachforschen wollte, eine frischere und vollere Quelle sich öffnen. Den Zusammenhang mit alten Heldenliedern zeigt das Märchen von Ilja (Elias), der auch in Wladimirs Tafelrunde auftritt. Die Verwandtschaft mit deutschen ist nicht bloß in einzelnen Zügen sichtbar, auch denselben Grund finden wir häufig wieder, doch mit Abweichungen und unter ganz anderer Umgebung. Wenn Iwan von seinem Diener verlangt er solle ihm Wasser schöpfen, und dieser sich weigert und ihn heißt es selber zu thun, um ihn damit in seine Gewalt zu bringen, so sehen wir dies in der Gänsemagd (Nr. 89) auf eine Königstochter angewendet, wo sich auf eine ähnliche Art daraus die weiteren Begebenheiten entwickeln. Die sieben Simeone, im Besitz besonderer Geschicklichkeiten, deren einer als listiger Dieb sich hervor thut, entsprechen den vier kunstreichen Brüdern (Nr. 129). Noch näher kommt Iwan, der sein goldnes Haar mit einer Blase bedeckt, dem Königssohn in dem deutschen Märchen vom Eisenhans (Nr. 136), der, um dieses Zeichen königlicher Abkunft zu verbergen, seinen Hut niemals abnehmen will; beide dienen als Gärtner und beide erregen in dieser Verkleidung die Aufmerksamkeit der Königstochter. Was bei uns von dem Tischchendeckdich (Nr. 36) erzählt wird, ist hier in ein hübsches Märchen von einem bösen Weib und einem sanften Mann verflochten.

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Brüder Grimm: Kinder- und Haus-Märchen Band 3 (1856). Dieterich, Göttingen 1856, Seite 396. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kinder_und_Hausm%C3%A4rchen_(Grimm)_1856_III_396.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)