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einäugig bin.“ Der Mann spricht „das habe ich gesehen, bevor ich dich liebte und bevor wir uns heiratheten.“ Die Frau beruhigt sich, aber als sie einmal zu Bette liegen und Mitternacht vorbei ist, trägt es sich zu daß oben auf dem Dach eine Ratte mit seiner Frau scherzt und beide darüber herab auf den Boden fallen. „Das ist ein schlechter Spaß,“ sagt die Rattenfrau, „ich habe den Rücken gebrochen.“ Der Mann lacht im Bett, alsbald richtet die Frau sich auf, packt ihn und hält ihn fest. „Jetzt lasse ich dich nicht aus dem Haus,“ spricht sie, „wenn du mir nicht sagst was du gehört und worüber du gelacht hast.“ „Laß mich in Ruhe,“ erwidert der Mann, aber die Frau besteht auf ihrem Willen. Er bequemt sich endlich dazu und sagt ihr daß er die Stimme der Thiere und Vögel verstehe, womit sie sich zufrieden gibt. Am Morgen steht er auf und geht zu seinem Pferd, aber als es wiehert, versteht er es nicht, auch nicht mehr die Sprache der andern Thiere. Da setzt er sich in seinem Haus nieder, läßt den Kopf hängen und spricht zu sich selbst „wenn ein Mann sein Herz aufschließt und äußert seine inneren Gedanken, so straft ihn Gott dafür. Ich verstand die Sprache der Thiere, aber heute hat der Teufel mich von dem rechten Weg abgehalten. Weil ich mein Geheimnis einer Frau eröffnete, hat der Herr meine Ohren verstopft.“

Ein entsprechendes deutsches Märchen kenne ich nicht, aber es kommt, wie oben (S. 289) zu Straparola (12, 3) bemerkt ist, anderwärts vor. In der 1001 Nacht hört ein Kaufmann, der die Sprache der Thiere versteht, wie ein Ochs einem Esel einen listigen Rath ertheilt, und lacht darüber. Seine Frau will die Ursache wissen, der Mann sagt er habe über das gelacht, was der Ochs dem Esel eröffnet habe, weigert sich aber mehr zu sagen und erklärt daß es ihm sein Leben kosten würde, wenn er sein Geheimnis entdecke. Die Frau glaubt das nicht und will ihn verlassen, wenn er nicht offenbare worüber er gelacht habe. Der Mann sieht daß sie nicht von ihrem Vorsatz abzubringen ist, setzt sich vor die Thüre seines Hauses und überlegt ob er seiner Frau sein Leben zum Opfer bringen solle. Da bemerkt er wie der Haushund dem Hahn Vorwürfe macht daß er mit einer Henne scherze während das Leben ihres Herrn auf dem Spiel stehe. Der Hahn erwidert „unser Herr ist nicht klug, ich habe 50 Hennen, die mir gehorchen, er wird sich schon zu helfen wissen. Er nehme einen guten Stock, schließe sich mit seiner Frau in eine

Empfohlene Zitierweise:
Brüder Grimm: Kinder- und Haus-Märchen Band 3 (1856). Dieterich, Göttingen 1856, Seite 365. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kinder_und_Hausm%C3%A4rchen_(Grimm)_1856_III_365.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)