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aber er griff dem Kind die Augen aus, tödtete es nachher und verbrannte die Wiege. Drauf setzte ihn der Schmied über einen Zaun den er flechte sollte, da holte er Fichten im Wald und flocht sie mit Schlangen zusammen. Nun mußte er Vieh weiden, die Hausfrau aus Rache backte ihm einen Stein ins Brot, so daß er sich sein Messer stumpfte: erzürnt rief er Bären und Wölfe, daß sie die Heerde fräßen. Aus den Kühbeinen und Ochsenhörnern aber machte er sich Blashörner und trieb die Wölfe und Bären statt der andern Heerde heim. Der nordische Grettir, als er Gänse und Rosse hüten soll, spielt ähnliche Streiche (bernskubraugd Kinderstreiche). Das Heldenmäßige bricht in der Jugendroheit und Nichtachtung des gewöhnlichen Menschentreibens hervor, wie auch Florens im Octavian dem Clemens die Ochsen verschleudert.

Eine Erzählung aus Hessen ist viel unvollständiger, hat aber ihr eigenes. Kürdchen Bingeling hat an seiner Mutter Brust sieben Jahre getrunken, davon er so gewaltig groß geworden und so viel hat essen können daß er nicht zu ersättigen ist; alle Menschen aber hat er gequält und genarrt. Nun versammelt sich die ganze Gemeinde, will ihn fangen und tödten, er aber merkts, setzt sich unter das Thor und sperrt den Weg gerade wie Gargantua den Berg Gargant nicht weit von Nantes schaft, so daß ohne Hacken und Schippen kein Mensch durchkann, und er ruhig weiter geht. Nun ist er in einem andern Dorf, aber noch derselbe Schlingel, und da macht sich wieder die ganze Gemeinde auf, um ihn zu greifen, er aber, weil kein Thor da ist, das er verrammeln kann, springt in einen Brunnen. Jetzt stellt sich die Gemeinde herum und rathschlagt, sie beschließen endlich ihm einen Mühlstein auf den Kopf zu werfen. Mit großer Mühe wird einer herbeigeholt und hinabgerollt, wie sie meinen er sei todt, kommt auf einmal der Kopf aus dem Brunnen, den hat er durch das Loch des Steins gesteckt, so daß dieser ihm auf den Schultern hängt, wobei er ruft „ach! was hab ich einen schönen Dütenkragen!“ Wie sie das sehen, rathschlagen sie von neuem, und schicken dann hin und lassen ihre große Glocke aus dem Kirchthurm holen, und werfen sie auf ihn hinab, die sollte ihn gewiß treffen (ebenso beim Riesen Scharmack). Wie sie aber meinen er liege unten erschlagen und gehen auseinander, kommt er auf einmal aus dem Brunnen gesprungen, hat die Glocke auf dem Haupt, ruft ganz freudig „ach, was eine schöne Bingelmütze!“ und lauft davon.

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Brüder Grimm: Kinder- und Haus-Märchen Band 3 (1856). Dieterich, Göttingen 1856, Seite 160. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kinder_und_Hausm%C3%A4rchen_(Grimm)_1856_III_160.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)