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hell sein wie Krystall. Da ließ der König den Schneider herbei holen und sagte „wenn nicht Morgen ein Strahl von Wasser in meinem Hof springt, wie du versprochen hast, so soll dich der Scharfrichter auf demselben Hof um einen Kopf kürzer machen.“ Der arme Schneider besann sich nicht lange und eilte zum Thore hinaus, und weil es ihm diesmal ans Leben gehen sollte, so rollten ihm die Thränen über die Backen herab. Indem er so voll Trauer dahin gieng, kam das Füllen herangesprungen, dem er einmal die Freiheit geschenkt hatte, und aus dem ein hübscher Brauner geworden war. „Jetzt kommt die Stunde,“ sprach es zu ihm, „wo ich dir deine Gutthat vergelten kann. Ich weiß schon was dir fehlt, aber es soll dir bald geholfen werden, sitz nur auf, mein Rücken kann deiner zwei tragen.“ Dem Schneider kam das Herz wieder, er sprang in einem Satz auf, und das Pferd rennte in vollem Lauf zur Stadt hinein und geradezu auf den Schloßhof. Da jagte es dreimal rund herum, schnell wie der Blitz, und beim drittenmal stürzte es nieder. In dem Augenblick aber krachte es furchtbar: ein Stück Erde sprang in der Mitte des Hofs wie eine Kugel in die Luft und über das Schloß hinaus, und gleich dahinter her erhob sich ein Strahl von Wasser so hoch wie Mann und Pferd, und das Wasser war so rein wie Krystall, und die Sonnenstrahlen fiengen an darauf zu tanzen. Als der König das sah, stand er vor Verwunderung auf, gieng und umarmte das Schneiderlein im Angesicht aller Menschen.

Aber das Glück dauerte nicht lang. Der König hatte Töchter genug, eine immer schöner als die andere, aber keinen Sohn. Da begab sich der boshafte Schuster zum viertenmal zu dem Könige,

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Brüder Grimm: Kinder- und Haus-Märchen Band 2 (1850). Göttingen 1850, Seite 130. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kinder_und_Hausm%C3%A4rchen_(Grimm)_1850_II_130.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)