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treibst, so nimmt er dich nicht auf die Arme und wiegt dich darin, wie er that als er dich am Taufstein hielt, sondern er läßt dich am Galgenstrick schaukeln.“ „Seid ohne Sorge, mein Vater, er wird mir nichts thun, denn ich verstehe mein Handwerk. Ich will heute noch selbst zu ihm gehen.“ Als die Abendzeit sich näherte, setzte sich der Meisterdieb in seinen Wagen, und fuhr nach dem Schloß. Der Graf empfieng ihn mit Artigkeit, weil er ihn für einen vornehmen Mann hielt. Als aber der Fremde sich zu erkennen gab, so erbleichte er, und schwieg eine Zeitlang ganz still. Endlich sprach er „du bist mein Pathe, deshalb will ich Gnade für Recht ergehen lassen und nachsichtig mit dir verfahren. Weil du dich rühmst ein Meisterdieb zu sein, so will ich deine Kunst auf die Probe stellen, wenn du aber nicht bestehst, so mußt du mit des Seilers Tochter Hochzeit halten, und das Gekrächze der Raben soll deine Musik dabei sein.“ „Herr Graf,“ antwortete der Meister, „denkt euch drei Stücke aus, so schwer ihr wollt, und wenn ich eure Aufgabe nicht löse, so thut mit mir wie euch gefällt.“ „Wohlan,“ sprach der Graf, „zum ersten sollst du mir mein Leibpferd aus dem Stalle stehlen, zum andern sollst du mir und meiner Gemahlin, wenn wir eingeschlafen sind, das Betttuch unter dem Leib wegnehmen, ohne daß wirs merken, und dazu meiner Gemahlin den Trauring vom Finger: zum dritten und letzten sollst du mir den Pfarrer und Küster aus der Kirche wegstehlen. Merke dir alles wohl, demi es geht dir an den Hals.“

Der Meister begab sich in die zunächst liegende Stadt. Dort kaufte er einer alten Bauerfrau die Kleider ab, und

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Brüder Grimm: Kinder- und Haus-Märchen Band 2 (1843). Göttingen 1843, Seite 481. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kinder_und_Hausm%C3%A4rchen_(Grimm)_1843_II_481.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)