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Arbeit, und spann weiter. Da kam ihm ein Spruch in den Sinn, den die Alte manchmal gesagt hatte, wenn es bei der Arbeit saß, und es sang so vor sich hin

„Spindel, Spindel, geh du aus,
bring den Freier zu Haus.“

Was geschah? Kaum war der Spruch gesagt, so sprang ihm die Spindel aus der Hand, und zur Thüre hinaus: und als es voll Verwunderung aufstand, und ihr nachblickte, so sah es daß die Spindel lustig in das Feld hinein tanzte, und einen glänzenden goldenen Faden hinter sich herzog. Nicht lange, so war sie ihm aus den Augen entschwunden. Das Mädchen, da es keine Spindel mehr hatte, nahm das Weberschiffchen in die Hand, setzte sich an den Webstuhl, und fieng an zu weben.

Die Spindel aber tanzte immer weiter, und eben als der Faden zu Ende war, hatte sie den Königssohn erreicht. „Was sehe ich?“ rief er, „die Spindel will mir wohl den Weg zeigen?“ drehte sein Pferd um, und ritt an dem goldenen Faden zurück. Das Mädchen aber saß an seiner Arbeit und sang

„Schiffchen, Schiffchen, webe fein,
führ den Freier mir herein.“

Alsbald sprang ihr das Schiffchen aus der Hand und sprang zur Thüre hinaus. Vor der Thürschwelle aber fieng es an einen Teppich zu weben, schöner als man je einen gesehen hat. Auf beiden Seiten blühten Rosen und Lilien, und in der Mitte auf goldenem Grund stiegen grüne Ranken herauf, darin sprangen Hasen und Kaninchen: Hirsche und Rehe streckten die Köpfe dazwischen: oben in den Zweigen saßen bunte Vögel; es fehlte nichts

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Brüder Grimm: Kinder- und Haus-Märchen Band 2 (1843). Göttingen 1843, Seite 463. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kinder_und_Hausm%C3%A4rchen_(Grimm)_1843_II_463.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)