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ihr die Hütte der Alten. Abermals machte sie sich am nächsten Morgen auf den Weg und klagte der weisen Frau ihr Leid. Die Alte gab ihr eine goldene Flöte und sprach „harre bis der Vollmond wieder kommt, dann nimm diese Flöte, setze dich an das Ufer, blas ein schönes Lied darauf, und wenn du damit fertig bist, so lege sie auf den Sand; du wirst sehen was geschieht.“

Die Frau that wie die Alte gesagt hatte. Wie die Flöte auf dem Sand lag, so brauste es gleich aus der Tiefe: eine Welle erhob sich, zog heran und führte die Flöte mit sich fort. Bald darauf theilte sich das Wasser, und nicht bloß der Kopf auch der Mann bis zur Hälfte des Leibes stieg hervor. Er breitete voll Verlangen seine Arme nach ihr aus, aber eine zweite Welle rauschte heran, bedeckte ihn, und zog ihn wieder hinab.

„Ach, was hilft es mir,“ sagte die Unglückliche, „daß ich meinen Liebsten nur erblicke um ihn wieder zu verlieren.“ Der Gram erfüllte aufs neue ihr Herz, aber der Traum zeigte ihr zum drittenmal in das Haus der Alten. Sie machte sich auf den Weg, und die weise Frau gab ihr ein goldenes Spinnrad, tröstete sie und sprach „es ist noch nicht alles vollbracht, harre bis der Vollmond kommt, dann nimm das Spinnrad, setze dich an das Ufer, und spinne die Spuhle voll, und wenn du fertig bist, so stelle das Spinnrad nahe an das Wasser, und du wirst sehen was geschieht.“

Die Frau befolgte alles genau. Sobald der Vollmond sich zeigte, trug sie das goldene Spinnrad an das Ufer, und spann emsig bis der Flachs zu Ende und die Spuhle mit dem Faden ganz angefüllt war. Kaum aber stand

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Brüder Grimm: Kinder- und Haus-Märchen Band 2 (1843). Göttingen 1843, Seite 430. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kinder_und_Hausm%C3%A4rchen_(Grimm)_1843_II_430.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)