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andern Morgen herab, da zählte er, und sah daß eine der Birnen fehlte, und fragte den Gärtner wo sie hingekommen wäre: sie liege nicht unter dem Baume und sei doch weg. Da antwortete der Gärtner „vorige Nacht kam ein Geist herein, der hatte keine Hände, und aß eine mit dem Munde ab.“ Der König sprach „wie ist der Geist über das Wasser herein gekommen? und wo ist er hingegangen, nachdem er die Birne gegessen hatte?“ Der Gärtner antwortete „es kam jemand in schneeweißem Kleide vom Himmel, der hat die Schleuße zugemacht, und das Wasser gehemmt, damit der Geist durch den Graben gehen konnte. Und weil es ein Engel muß gewesen sein, so habe ich mich gefürchtet, nicht gefragt und nicht gerufen. Als der Geist die Birne gegessen hatte, ist er wieder zurückgegangen.“ Der König sprach „verhält es sich wie du sagst, so will ich diese Nacht bei dir wachen.“

Als es dunkel ward, kam der König in den Garten, und brachte einen Priester mit, der sollte den Geist anreden. Alle drei setzten sich unter den Baum, und gaben acht. Um Mitternacht kam das Mädchen aus dem Gebüsch gekrochen, trat zu dem Baum, und aß wieder mit dem Munde eine Birne ab; neben ihr aber stand der Engel im weißen Kleide. Da gieng der Priester hervor und sprach „bist du von Gott gekommen oder von der Welt? bist du ein Geist oder ein Mensch?“ Sie antwortete „ich bin kein Geist, sondern ein armer Mensch, von allen verlassen nur von Gott nicht.“ Der König sprach „wenn du von aller Welt verlassen bist, so will ich dich nicht verlassen.“

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Brüder Grimm: Kinder- und Haus-Märchen Band 1 (1840). Göttingen: Dieterich, 1840, Seite 192. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kinder_und_Hausm%C3%A4rchen_(Grimm)_1840_I_192.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)