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Der Müller sprach zu ihr „ich habe so großes Gut durch dich gewonnen, ich will dich zeitlebens aufs köstlichste halten.“ Sie antwortete aber „hier kann ich nicht bleiben, ich will fortgehn; mitleidige Menschen werden mir schon so viel geben als ich brauche.“ Darauf ließ sie sich die verstümmelten Arme auf den Rücken binden, und mit Sonnenaufgang machte sie sich auf den Weg, und gieng den ganzen Tag bis es Nacht ward. Da kam sie zu einem königlichen Garten, und beim Mondschimmer sah sie daß Bäume voll schöner Früchte darin standen; aber sie konnte nicht hinein, denn es war ein Wasser darum. Und weil sie den ganzen Tag gegangen war, und keinen Bißen genossen hatte, und der Hunger sie quälte, so dachte sie „ach, wäre ich darin, damit ich etwas von den Früchten äße, sonst muß ich verschmachten.“ Da kniete sie nieder, rief Gott den Herrn an, und betete. Auf einmal kam ein Engel daher, der machte eine Schleuße in dem Wasser zu, so daß der Graben trocken ward und sie hindurch gehen konnte. Nun gieng sie in den Garten, und der Engel gieng mit ihr. Sie sah einen Baum mit Obst, das waren schöne Birnen, aber sie waren alle gezählt. Da trat sie hinzu, und aß eine mit dem Munde vom Baume ab, ihren Hunger zu stillen, aber nicht mehr. Der Gärtner sah es mit an, weil aber der Engel dabei stand, fürchtete er sich, und meinte das Mädchen wäre ein Geist, schwieg still, und getraute nicht zu rufen oder den Geist anzureden. Als sie die eine Birne gegessen hatte, war sie gesättigt, und gieng und versteckte sich in das Gebüsch. Der König, dem der Garten gehörte, kam am

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Brüder Grimm: Kinder- und Haus-Märchen Band 1 (1840). Göttingen: Dieterich, 1840, Seite 191. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kinder_und_Hausm%C3%A4rchen_(Grimm)_1840_I_191.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)