Seite:Kinder und Hausmärchen (Grimm) 1837 V1 435.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Wald spazieren. „Hüte dich,“ sagte Joringel, „daß du nicht so nahe ans Schloß kommst.“ Es war ein schöner Abend, die Sonne schien zwischen den Stämmen der Bäume hell ins dunkle Grün des Waldes, und die Turteltaube sang kläglich auf den alten Maibuchen.

Jorinde weinte zuweilen, setzte sich hin im Sonnenschein und klagte. Joringel klagte auch: sie waren so bestürzt, als wenn sie hätten sterben sollen: sie sahen sich um, waren irre, und wußten nicht wohin sie nach Hause gehen sollten. Noch halb stand die Sonne über dem Berg, und halb war sie unter. Joringel sah durchs Gebüsch, und sah die alte Mauer des Schlosses nah bei sich; er erschrack und wurde todtbang. Jorinde sang

„mein Vöglein mit dem Ringlein roth
singt Leide, Leide, Leide:
es singt dem Täublein seinen Tod,
singt Leide, Lei – zucküth, zicküth, zicküth.“

Joringel sah nach Jorinde. Jorinde war in eine Nachtigall verwandelt, die sang zicküth, zicküth. Eine Nachteule mit glühenden Augen flog dreimal um sie herum, und schrie dreimal schu, hu, hu, hu. Joringel konnte sich nicht regen: er stand da wie ein Stein, konnte nicht weinen, nicht reden, nicht Hand noch Fuß regen. Nun war die Sonne unter: die Eule flog in einen Strauch, und gleich darauf kam eine alte krumme Frau aus diesem hervor, gelb und mager, große rothe Augen, krumme Nase, die mit der Spitze ans Kinn reichte. Sie

Empfohlene Zitierweise:
Brüder Grimm: Kinder- und Haus-Märchen Band 1 (1837). Göttingen: Dieterich, 1837, Seite 435. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kinder_und_Hausm%C3%A4rchen_(Grimm)_1837_V1_435.jpg&oldid=- (Version vom 12.5.2018)