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Die Eltern konnten die Verwünschung nicht mehr zurücknehmen, und so traurig sie über den Verlust ihrer sieben Söhne waren, trösteten sie sich einigermaßen durch ihr liebes Töchterchen, das bald zu Kräften kam, und mit jedem Tage schöner ward. Es wußte lange Zeit nicht einmal daß es Geschwister gehabt hatte, denn die Eltern hüteten sich ihrer zu erwähnen, bis es eines Tags von ungefähr die Leute von sich sprechen hörte, das Mädchen wäre wohl schön, aber doch eigentlich Schuld an dem Unglück seiner sieben Brüder. Da wurde es ganz betrübt, gieng zu Vater und Mutter, und fragte ob es denn Brüder gehabt hätte, und wo sie hingerathen wären? Nun durften die Eltern das Geheimnis nicht länger verschweigen, sagten jedoch es sey so des Himmels Verhängnis, und seine Geburt nur der unschuldige Anlaß gewesen. Allein das Mädchen machte sich täglich ein Gewissen daraus, und glaubte sich fest verbunden seine Geschwister zu erlösen, und hatte nicht Ruhe und Rast, bis es sich heimlich aufmachte, und in die weite Welt gieng, seine Brüder irgendwo aufzuspüren und zu befreien, es koste was es wolle. Es nahm nichts mit sich als ein Ringlein von seinen Eltern zum Andenken, einen Laib Brot für den Hunger, ein Krüglein Wasser für den Durst, und ein Stühlchen für die Müdigkeit.

Nun gieng es immer zu, weit weit bis an der Welt Ende. Da kam es zur Sonne, aber die war zu heiß und fürchterlich, und fraß die kleinen Kinder; eiligst lief es weg, und hin zu dem Mond, aber der war gar zu kalt, und auch grausig und bös

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Brüder Grimm: Kinder- und Haus-Märchen Band 1 (1837). Göttingen: Dieterich, 1837, Seite 160. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kinder_und_Hausm%C3%A4rchen_(Grimm)_1837_V1_160.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)