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Er fand Doralice im Heidekraute sitzend, den Rücken gegen den Stamm einer Birke gelehnt, das Buch lag aufgeschlagen auf ihrem Schoß, sie schaute nicht hinein, sondern bog den Kopf zurück und blinzelte mit halbgeschlossenen Augen zu den Wipfeln der Birken hinauf, das Gesicht ruhig wie das Gesicht eines Menschen, der einem Schlummerliede lauscht und darauf wartet, daß der Schlaf komme. Und rings um sie her klang das unablässige und eifrige Schrillen der Feldgrillen. Hilmar räusperte sich leise. Doralice schaute auf. Sie war nicht besonders überrascht, sie zog nur leicht die Augenbrauen empor und sagte: „O, Sie sind es. Sind Sie mir hierher nachgekommen? Sie wollten ja segeln.“

Hilmar war etwas befangen. „Ja, – hm, ich bin Ihnen hierher nachgekommen. Sie gestatten doch“ und er setzte sich auf einen Baumstumpf Doralice gegenüber. „Mit dem Segeln war es nichts. Da Sie nicht auf dem Meere waren, schien das Meer mir so sinnlos.“

„Ah,“ sagte Doralice, die wieder in ihre ruhevolle Stellung zurückgesunken war. „Mir sagte einmal ein junger Attaché, er halte es für unhöflich, einen Augenblick mit einer jungen Frau allein zu sein, ohne ihr eine Liebeserklärung zu machen.“

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Eduard von Keyserling: Wellen. S. Fischer, Berlin 1920, Seite 150. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Keyserling_Wellen.pdf/150&oldid=- (Version vom 1.8.2018)