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der Menschheit im Herzen des Volkes zu vertilgen streben; es sind jene Männer, welche den Umsturz nicht nur als eine traurige Nothwendigkeit unter besonderen Umständen anerkennen, sondern welche den Umsturz zum Prinzip erheben und das Volk von Umsturz zu Umsturz hinreißen, bis in die Familie, bis zu dem Stuhle, auf dem Vater und Mutter gemeinsam sitzen; es sind jene, die dem Volke den Glauben nehmen, daß es die Pflicht des Menschen sey sich selbst zu beherrschen, seine Leidenschaften zu bezwingen, sich dem höheren Gesetze der Sitte und der Tugend zu unterwerfen, und welche dagegen die Leidenschaften zur Herrschaft bringen wollen und das Volk damit entzünden: die Mörder sind jene Männer, die sich selbst zu den Lügengötzen des Volkes machen wollen, daß es vor ihnen niederfalle und sie anbete.

     Nun aber tritt an diesen Gräbern ein Gedanke heran an meine Seele, den ich Euch, meine christlichen Brüder, zum Schluß noch mittheilen muß. Ich sehe in der Welt auf der einen Seite ein gewaltiges Ringen und Drängen und Streben nach den höchsten Idealen, die die Menschenseele zu fassen vermag, und auf der anderen Seite sehe ich ein Aufkeimen so niederträchtiger Leidenschaften, wie sie kaum je in der Menschheit dagewesen; ich höre den Ruf nach einem allgemeinen Frieden, — und wessen Seele möchte nicht jubelnd darin einstimmen, — und ich sehe die Menschen sich immer mehr zertheilen, zertrennen und zerklüften, den Vater vom Sohne, den Bruder von der Schwester, den Freund vom Freunde; ich höre den Ruf nach Gleichheit unter den Menschen, welche

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Wilhelm Emanuel von Ketteler: Leichenrede, gesprochen am Grabe der am 18. September gewaltsam Ermordeten und der im Kampfe gegen die Aufständischen Gefallenen. , Frankfurt am Main 1848, Seite 9. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ketteler_Leichenrede_1848.pdf/9&oldid=- (Version vom 1.8.2018)