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Diese Ansicht[UE 1], so ungewöhnlich sie auch zunächst erscheinen mag, gewinnt an Wahrscheinlichkeit, wenn man sich den Urzustand des Planetensystems vergegenwärtigt. Unzählige Massen umkreisten die Sonne und erst nach und nach ordneten sie sich zu zusammengehörigen Gebilden: den Planeten mit ihren Monden und Ringen, den Kometen u. s. w. In den Ringen des Saturn hat die neuere Astronomie Ströme von unverbundenen Satelliten erkannt, die den Planeten umkreisen und analog diesem könnte man sich vorstellen, dass einst auch die Erde ihren lunaren Ring von kleinen Begleitern gehabt hat und dass im Verlauf unermesslicher Zeiträume der grösste von diesen, eben unser Mond, seine schwächeren Genossen überwältigt und verschlungen hätte. Schon Kepler stellte die Behauptung auf, es seien ‚der Kometen im Weltraum so viel, wie der Fische im Meer, so dass sie im Stande wären, eine Schwächung des Sonnenlichtes zu bewirken‘. Dies dürfte in erhöhtem Maasse von den Asteroïden und Aërolithen im Raume des Planetensystems gelten, besonders in Hinblick auf die Urzeit.

Wie können nun diese fremden Körper die verschiedenen Configurationen auf der Mondoberfläche hervorgebracht haben?

Man erinnere sich, dass auch der Mond, wie alle Himmelskörper, zuerst feuerflüssig gewesen ist und erst unter der Einwirkung der Kälte des Weltraums nach und nach abkühlte und erstarrte. In der ersten Periode mussten also wohl die herabfallenden Körper in der Mondmasse untertauchen und konnten keine Eindrücke hinterlassen. In einer späteren Periode aber, wo die Mondmasse schon bildsam wurde, werden die durch den Anprall erzeugten ringförmigen Wellen stehen geblieben sein; die untere noch flüssige Mondmaterie drang nach und füllte das so eingezäunte Gebiet aus: es entstanden die Wallebenen.

Die Ringgebirge nun gehören einer noch späteren Periode an. Die Schale des Mondes hatte allmählig eine solche Festigkeit und Dicke gewonnen, dass ein herabstürzender Körper nicht mehr sie vollständig durchschlagen und sich in die Tiefe versenken konnte; in ihnen glauben wir nicht sowohl das aufgestülpte Material der Mondschale, als vielmehr die auseinandergefallenen Bestandtheile der fremden Körper zu erkennen. Die Bildung der verschiedenen Formen der Ringgebirge dürfte auf die Umstände, unter welchen die herabfallenden Körper die immer mehr erstarrende Mondoberfläche trafen, zurückzuführen sein.

Es lässt sich dieser Vorgang praktisch vor Augen führen durch eine

Anmerkungen des Übersetzers

  1. Zuerst ausgesprochen und begründet in einer 1879 unter dem Pseudonym ‚Asterios‘ erschienenen Schrift: ‚Die Physiognomie des Mondes‘. Ich bin in Nachfolgendem dieser interessanten und überzeugend entwickelten Arbeit gefolgt.
Empfohlene Zitierweise:
Johannes Kepler: Keplers Traum vom Mond. B. G. Teubner, Leipzig 1898, Seite 137. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Keplers_Traum_165.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)