Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Zur Bezeichnung dieser Fähigkeit hat Lambert[UE 1] das Wort Albedo eingeführt: es besitzt ein Körper eine um so grössere Albedo, je mehr von dem auf ihn fallenden Lichte er zurückzustrahlen vermag, je grösser sein specifisches Reflexionsvermögen ist. Da nun die Stoffe der Erde eine verschiedene Albedo besitzen, so werden auch, aus grosser Entfernung gesehen, ganze Länderstriche, je nach Beschaffenheit der Schichten, in stärkerem oder geringerem Lichte glänzen und insbesondere die Continente durch grössere Helligkeit sich von den Oceanen auszeichnen. Aber die hellen und dunklen Stellen werden den Mondbewohnern nicht in einförmigen Parthien, sondern in mannigfachen Variationen erscheinen, denn anders wie die Kreidefelsen werden beispielsweise die grossen Sandwüsten Afrikas, anders die weit ausgedehnten Urwälder, anders die Steppen Amerikas, anders endlich die Moorgebiete Europas das Licht zurückstrahlen. Ja, selbst die Oceane dürften in ihren Flecken Verschiedenheiten in den Nuancen aufweisen, weil die Färbung bei nicht allzutiefen Meeresstellen durch die Unebenheiten der klippenvollen Gründe, wegen des Uebergewichts des aus der Tiefe aufsteigenden Lichts über die Intensität desjenigen, welches die Oberfläche des Meeres zurückstrahlt, einen Einfluss erleidet, der von einer so grossen Höhe herab deutlich wahrgenommen werden wird.

Ich will in Nachstehendem versuchen, ein ungefähres Bild zu entwerfen von dem Anblick, den die Mondbewohner von ihrer Volva haben, indem ich dabei einerseits die Ideen Keplers beachte, anderseits aber auch auf die den neueren Forschungen entsprechenden Verhältnisse Rücksicht nehme.

Unter der Voraussetzung, dass die Sehorgane unserer Nachbarn dieselbe optische Schärfe haben wie die unsrigen, werden sie, wenn die Erdatmosphäre klar ist, eine Totalübersicht der Erde geniessen, ähnlich der, welche wir von der diesseitigen Mondhemisphäre haben, indessen werden sich ihnen die Begrenzungen der Flecken viel schärfer zeigen, wie sich uns die Mondflecken. Die einzelnen Continente erscheinen in hellen Parthien auf dunklem Grunde, ebenso die Inseln, von denen sich solche etwa von der Grösse Corsikas noch deutlich werden unterscheiden lassen. Es werden also geographische Streitfragen, wie z. B. die, ob Grönland eine Insel ist oder nicht, bei unseren lunarischen Nachbarn längst entschieden sein. Doch nicht in dem fahlen Weiss der Mondoberfläche, sondern in verschiedenen, meist glänzenden, hellen Farbentönen präsentiren sie sich dem staunenden Beschauer. Die grösseren Gebirgszüge, Ströme und Seen

Anmerkungen des Übersetzers

  1. Johann Heinrich Lambert, geb. 1728 zu Mülhausen i. Els., gest. 1777 zu Berlin. Hervorragender Optiker und Mathematiker.
Empfohlene Zitierweise:
Johannes Kepler: Keplers Traum vom Mond. B. G. Teubner, Leipzig 1898, Seite 107. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Keplers_Traum_135.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)