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Erde mit dem Namen Sterntag, bezgl. des Mondes mit ‚siderischem Monat‘ bezeichnet, jener beträgt 23 Stunden 56 Minuten, dieser ca. 27 Tage 8 Stunden. Etwas anders verhält es sich, wenn die Axendrehung gegen die Sonne in Betracht gezogen wird, denn letztere ist natürlich während der Zeit, in welcher die Drehung stattfand, auf ihrer Bahn scheinbar um ein kleines Stück nach Westen vorgerückt, so dass die Erde, resp. der Mond, sich noch ein wenig mehr als einmal um sich drehen muss, damit ihr die Sonne wieder in derselben Gegend des Himmels steht, wie am Tage vorher. Diese Zeit nennt man den ‚Sonnentag‘, resp. ‚synodischen Monat‘. Diese sind also etwas länger, auch nicht immer von gleicher Dauer, wie der Sterntag und der siderische Monat, weil die Sonne nicht alle Tage ein gleich grosses Stück ihrer Bahn zurücklegt, und zwar hat die Erde annähernd 365 Sonnentage, dagegen 366 Sterntage, der Mond 12 resp. 13 im Jahre, oder genauer wie Kepler angiebt.

Man kann sich diesen Vorgang an den beiden Zeigern einer Uhr klar machen. Angenommen die Uhr zeige auf 12 [Fixstern], dann decken sich beide; nach einer Stunde, d. h. nach einem vollständigen Umlaufe [Sterntag] des Minutenzeigers [Erde] hat dieser wieder dieselbe Stelle erreicht, aber der Stundenzeiger [Sonne] steht nun nicht mehr auf 12, sondern ist unterdess um eine Stunde fortgerückt und der andere muss, um ihn einzuholen, noch ca. 1/12 eines weiteren Umlaufs zurücklegen. Dieser Theil des zweiten Umlaufs versinnbildlicht eben das Plus, um welches der Sonnentag grösser ist als der Sterntag.

Alle diese Verschiedenheiten können natürlich unsere Uhren, wegen ihrer mechanischen Einrichtung, nicht mitmachen, sie theilen den bürgerlichen Tag in 24 gleiche Theile. Diese Zeit nennt man die mittlere, sie fällt mit der wahren, d. h. die mit dem wirklichen Stande der Sonne übereintreffende, nur selten zusammen, bald eilt sie ihr voraus, bald bleibt sie gegen sie zurück. Der Unterschied zwischen beiden ist die sogn. Gleichung der Zeit und unsere Uhren müssen, wenn sie ganz richtig gehen sollen, nach dieser Gleichung, welche man in den Kalendern angegeben findet, gestellt werden.

Der Unterschied des synodischen und siderischen Monats bewirkt ein Wandern des Vollmondes im Thierkreis, indem er jeden Monat in einem anderen Sternbild erscheint [s. auch C. 60], ebenso wird dadurch die auffallende Erscheinung bewirkt, dass der Vollmond uns im Sommer niedrig, im Winter aber hoch am Himmel erscheint, denn da er sich immer in der der Sonne entgegengesetzten Gegend der Ekliptik befindet, so muss er in den Winternächten da stehen, wo in den Sommertagen die Sonne steht, und umgekehrt.

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Johannes Kepler: Keplers Traum vom Mond. B. G. Teubner, Leipzig 1898, Seite 066. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Keplers_Traum_094.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)