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Durchmesser der Erdbahn, beiläufig 40 Millionen Meilen, und man könnte zunächst wohl annehmen, dass bei einer so grossen Standlinie eine Parallaxe stattfinden und z. B. eine Verschiebung des Sternes F, also einmal etwa nach FI und einmal nach FII, beobachtet werden würde. Die Astronomen der damaligen Zeit gaben sich denn auch alle erdenkliche Mühe, diese Verschiebung zu finden: die Gegner des Copernicus, um ihn zu widerlegen, wenn sie keine Parallaxe fänden, die Anhänger, um einen Beweis für sein System zu erbringen, denn thatsächlich würde die Auffindung einer Fixstern-Parallaxe der schlagendste Beweis für die Bewegung der Erde sein. Aber so viel sie auch suchten, sie fanden keine, und die Copernicaner mussten, diesem Argument gegenüber, die Segel streichen.

Da trat Kepler auf und behauptete kühn, dass nicht allein die Entfernungen auf der Erdkugel, sondern auch der ganze Durchmesser der Erdbahn gegenüber der ungeheuren Entfernung der Fixsterne zu einem blossen Punkte zusammenschrumpfe und aus diesem Grunde eine Fixstern-Parallaxe auch nicht gefunden werden könne. Diese Wahrheit, die Kepler, wie viele andere noch, allein durch die Alles durchdringende Schärfe seines Verstandes ergründete, ist später vollauf bestätigt. Man hat, nachdem die Vervollkommnung der astronomischen Beobachtungsinstrumente in nie geahnter Weise gelungen war, in der That Fixstern-Parallaxen gefunden und daraus berechnet, dass z. B. α Centauri – ein sehr schöner Stern des südlichen Himmels – als der uns nächste, doch noch 42/3 Billionen Meilen von uns entfernt ist.[UE 1] Damit war zugleich der Beweis der Bewegung der Erde auch nach dieser Richtung erbracht.

Ist also die ganze Erdbahn nur ein Punkt im Weltall, wieviel mehr muss dasselbe von der Mondbahn gelten, und wenn Kepler mit seinem Ausspruch die unendliche Ausdehnung des Himmelsgewölbes vor Augen führt, wie unwahrscheinlich musste da dessen tägliche Umwälzung um die winzige Erdkugel erscheinen?


55. [88.]


Daraus, dass der Mond uns Erdbewohnern immer dieselben Flecken zukehrt, ersehen wir, dass er die Erde umkreist, gleichsam, als wenn

Anmerkungen des Übersetzers

  1. Um sich von dieser ungeheuren Entfernung einen Begriff machen zu können, sei bemerkt, dass ein Mensch ca. 140 000 Jahre alt werden müsste, um erst 1 Billion Pulsschläge zu erleben.
Empfohlene Zitierweise:
Johannes Kepler: Keplers Traum vom Mond. B. G. Teubner, Leipzig 1898, Seite 059. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Keplers_Traum_087.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)