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„In der Gedankenentwicklung über kosmische Verhältnisse,“ sagt Humboldt[UE 1], „war Kepler, volle 78 Jahre vor Newtons Entdeckung, einer mathematischen Anwendung der Gravitationslehre am nächsten.

Wenn der Eklektiker Simplicius[UE 2] nur im Allgemeinen den Grundsatz aussprach, das Nicht-Herabfallen der himmlischen Körper werde dadurch bewirkt, dass der Umschwung [die Centrifugalkraft] die Oberhand habe über die eigne Fallkraft, den Zug nach unten; wenn Joannes Philoponus, ein Schüler des Ammonius Hermeä, die Bewegung der Weltkörper einem primitiven Stosse und dem fortgesetzten Streben zum Falle zuschrieb; wenn Copernicus nur den allgemeinen Begriff der Gravitation, wie sie in der Sonne als dem Centrum der Planetenwelt, in der Erde und dem Monde wirke, ahnend ausspricht, so finden wir bei Kepler in seinem Buche: ‚Von der Bewegung des Mars‘[UE 3] zuerst numerische Angaben von den Anziehungskräften, welche nach Verhältniss ihrer Massen Erde und Mond gegen einander ausüben.“

Wenn der Mond und die Erde nicht durch ihre innere Lebenskraft[UE 4] oder durch eine gleich mächtige Kraft jedes in ihrem Umlaufe zurückgehalten würden, so würde die Erde zum Monde den 54. Theil des Zwischenraums emporsteigen, der Mond aber die 53 übrigen Theile des Zwischenraums herabsteigen und sich daselbst vereinigen; wobei jedoch vorausgesetzt wird, dass die Substanz beider Körper gleich dicht ist.

Keplers Sätze von der Schwere verdienen wohl, zum besseren Verständniss seiner Stellung, die er in der Erforschung dieser Naturkraft einnimmt, hier angezogen zu werden[UE 5]:

Ein mathematischer Punkt, Mittelpunkt der Welt oder nicht, kann schwere Körper nicht bewegen, dass sie sich ihm nähern. Die Physiker mögen zeigen, dass die natürlichen Dinge eine Sympathie zu dem haben, das Nichts ist.

Auch streben schwere Körper nicht deswegen nach dem Mittelpunkte der Welt, weil sie die Grenzen der runden Welt fliehen; werden auch nicht durch Umdrehung des primi mobilis[UE 6] gegen den Mittelpunkt

Anmerkungen des Übersetzers

  1. Humboldt, Kosmos III, S. 18.
  2. Simplicius, peripatetischer Philosoph des VI. Jahrhunderts n. Chr.
  3. Wie oben K. O. O. III.
  4. ‚Facultas animalis.‘
  5. s. Kästner, IV, S. 237 ff. Aus der Einleitung zu: ‚Von der Bewegung des Mars.‘ K. O. O. III, S. 146 ff.
  6. Das Primum mobile war im ptolemäischen Weltsystem die äusserste [11.], alle anderen umschliessende, Sphäre, wodurch die tägliche Umdrehung der Gestirne erklärt werden sollte.
Empfohlene Zitierweise:
Johannes Kepler: Keplers Traum vom Mond. B. G. Teubner, Leipzig 1898, Seite 050. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Keplers_Traum_078.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)