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mit welcher man ein Gesetz entwirft und annimmt, sondern in der Ehrlichkeit, Ernsthaftigkeit und Entschlossenheit, mit welcher man es zu handhaben gesonnen ist, zeigt sich die wahre politische Bildung. Daß diese den Schweizern größtentheils eigen ist, insofern sie auch in einem richtigen Verhältniß der öffentlichen Arbeit zur Privat- oder häuslichen Arbeit besteht, haben sie auch auf der Londoner Industrieausstellung bewiesen.

Im großen Kanton Bern hatte diese Revisionslust mit materieller Tendenz schon zwei Jahre früher begonnen, in’s Leben gerufen durch die junge Rechtsschule und die allgemeinst radikal Gesinnten, welche dadurch die etwas stagnirende und unentschiedene Regierung des ältern Liberalismus aus dem Sattel warfen. Die großen Bauern sowohl, denen man Grundzins und Zehnten abnahm, wie die Armen, denen man gründliche Hülfe versprach, waren bei der Sache, und die neue Verfassung mit kühnen Änderungen und Neuerungen ward fertig. Allein es war eben vor dem Abschluß des Sonderbundskriegs und vor dem Jahre 1848, daher auch ohne die Sokratische Weisheit geschehen, welche diese beiden Erfahrungen erst gebracht haben. Denn wenn die Schweizer auch den Erscheinungen der letzten Jahre ruhig zusehen konnten, so mußte doch der Geist der Geschichte über ihre Grenzen wehen und ihnen ihre eigene Bedeutung und Stellung mächtig zur Erkenntniß bringen. Sie haben sehen können, daß sie nicht die ausschließlichen Pächter der Freiheitsliebe in Europa sind, daß sie aber durch den alten Besitz und Gebrauch der Freiheit die doppelte Verpflichtung haben, keine Dummheiten zu machen. Die Berner Verfassung ward noch in dem alten unbekümmerten Sinne mit

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Gottfried Keller: [Über] Jeremias Gotthelf. Wilhelm Hertz, Berlin 1893, Seite 141. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Keller_Gotthelf_141.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)