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hübschen Werbegeschichten so poetisch wie in jedem andern Romane, und bei mir war sie es mehr, als wenn ich im Petrarca gelesen hätte.

Zu Bodmer’s und Breitinger’s Zeiten und bis tief in unser Jahrhundert hinein pflegte die deutsche Kritik jeden Schweizer, der etwa ein deutsches Buch zu schreiben wagte, damit zurückzuscheuchen, daß sie ihm die Helvetismen vorwarf und behauptete, kein Schweizer würde jemals Deutsch schreiben lernen. In jetziger Zeit, wo die Königin Sprache die einzige gemeinsame Herrscherin und der einzige Trost im Elende der deutschen Gauen ist, hat sich dieß geändert, und sie begrüßt mit Wohlwollen auch ihre entferntesten Vasallen, welche ihr Zierden und Schmuck darbringen, wie sie dieselben vor fünfhundert Jahren noch selbst gesehen und getragen hat. Jeremias Gotthelf mißbraucht zwar diese Stimmung, indem er ohne Grund ganze Perioden in Bernerdeutsch schreibt, anstatt es bei den eigenthümlichsten und kräftigsten Provinzialismen bewenden zu lassen. Doch mag auch dieß hingehen und bei der großen Verbreitung seiner Schriften veranlassen, daß man in Deutschland mit ein Bischen mehr Geläufigkeit und Geschicklichkeit als bisher den germanischen Geist in seine Schlupfwinkel verfolgen lerne. Wir können hier natürlich nicht etwa die philologisch Gebildeten, sondern nur diejenige schreibende und lesende Bevölkerung Norddeutschlands meinen, welche so wenig sichern Takt und Divinationsgabe in ihrer eigenen Sprache besitzt, daß sie gleich den Kompaß verliert, wenn nicht im Leipziger oder Berliner Gebrauche gesprochen oder geschrieben wird.

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Gottfried Keller: [Über] Jeremias Gotthelf. Wilhelm Hertz, Berlin 1893, Seite 132. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Keller_Gotthelf_132.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)